UX – positive Erlebnisse und ihre Wichtigkeit
Wir erleben seit einigen Jahren einen Wandel in der Innovation – von der rein technischen hin zur kundenzentrierten Entwicklung. Also rücken wir den Menschen in den Mittelpunkt. Usability und User Experience sind zwei Erfolgsfaktoren, die Sie für Ihr Unternehmen nicht unterschätzen sollten. Denn Produkte, die sich durch eine positive User Experience auszeichnen, werden von Nutzerinnen und Nutzern in der Regel bevorzugt.
Über die Hintergründe hierzu informieren Vertretende des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Usability: Anne Elisabeth Krüger (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team User Experience am Fraunhofer IAO), Prof. Dr. Michael Burmester (Professor für Ergonomie und Usability an der Hochschule der Medien) sowie Anja Groß (tätig im Bereich Technologie und Innovationsmanagement bei Bayern Innovativ).
Was bedeutet der Begriff User Experience (UX)? Und wie grenzt er sich von der Usability ab?
Anja Groß: Usability und User Experience werden häufig in einem Atemzug erwähnt, weil die zwei Konzepte eine ganz entscheidende und wichtige Gemeinsamkeit haben: Bei beiden steht der Mensch im Mittelpunkt. Deswegen spricht man auch vom sogenannten menschzentrierten Design. Im Detail unterscheiden sich die Begriffe dann allerdings.
- Usability: Das Ziel der Usability ist eine intuitive Bedienbarkeit. Das heißt für mich, ein Produkt ist einfach zu benutzen. Ich weiß, was ich tun muss, wenn ich es in der Hand halte oder am Computer verwende. Man sagt, es handelt sich hierbei um einen Hygienefaktor, weil eben diese intuitive Bedienbarkeit, also dieses Wissen, was zu machen ist, eine Grundanforderung an das Produkt ist. Das ist meine Erwartungshaltung. Per Definition kann man sagen, dass dies geschafft ist, wenn die Ziele effizient, effektiv und zufriedenstellend erreicht werden können.
- User Experience: UX geht noch einen ganzen Schritt weiter. Hier stehen die Erlebnisse im Vordergrund. Das Ziel von User Experience ist es, emotional positive Erlebnisse zu schaffen und damit zum Wohlbefinden beizutragen. Stellen wir uns beispielsweise vor, jemand geht im Park jeden Abend laufen und die Person nutzt eine Fitness-App, die den Fortschritt trackt. D. h. man sieht immer genau seine erbrachte Leistung, wie viel man gelaufen ist, also wie viel man heute geschafft hat. Durch die visuelle Leistungsdarstellung ruft die App positive Emotionen hervor, dass ist die User Experience.
In diesem Zusammenhang fällt häufig der Fachbegriff der positiven User Experience oder positive UX. Kannst Du uns das noch näher erläutern?
Anja Groß: Bei positiver UX geht es darum, dass man positive Erlebnisse und Emotionen schafft und somit bei einer Sache oder Anwendung einen positiven Charakter erzeugt. Doch wie kann man denn die Gefühlswelt beeinflussen? Wie lassen sich diese Emotionen hervorrufen? Es heißt, dass psychologische Bedürfnisse eine ganz entscheidende Rolle spielen. Jeder Mensch hat z. B. soziale Bedürfnisse, wie das Gefühl von Zugehörigkeit oder Verbundenheit.
Ein weiteres Beispiel: Um dieses Verbundenheitsgefühl zu stärken, wurden beispielsweise sogenannte Freundschaftslampen entwickelt. Führt ein Paar eine Fernbeziehung, kann es sich über Kilometer hinweg signalisieren, dass die Partner an die jeweils andere Person denkt, ohne schriftlich oder wörtlich miteinander zu kommunizieren. Dazu berührt man einfach die eine Lampe und somit leuchtet das Licht auch bei der zweiten Person in der Ferne auf. Über die Lampe werden somit positive Botschaften verschickt.
Usability und User Experience stellen den Mensch in den Mittelpunkt. Nutzen Sie die Konzepte, um sowohl Ihre Kundschaft als auch Ihre Mitarbeitenden zufriedener zu machen.
Gerade bei der Psychologie und auch bei Emotionen steht der Mensch im Mittelpunkt. Anne, welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang psychologische Bedürfnisse?
Anne Elisabeth Krüger: Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt – ja, das stimmt. Primär betrachten wir dabei immer die Nutzenden und deren psychologischen Bedürfnisse. Wir schauen uns ihre Bedürfnisse an und überlegen, wie wir diese im Zusammenhang mit einem Produkt oder Service erfüllen können. Das Ziel ist es, negative Erlebnisse zu vermeiden und das positive Erleben systematisch zu gestalten, also ein „Design for Wellbeing“ – für Wohlbefinden – zu erschaffen. Dabei arbeiten wir grundsätzlich menschzentriert.
D.h. es müssen alle Stakeholder bei der menschzentrierten Gestaltung berücksichtigt werden. Man darf sich also nicht nur auf die Nutzenden fokussieren, sondern muss zusätzlich das Design- und Entwicklungsteam im Blick haben. Auch diese Menschen haben Bedürfnisse, die man nicht außer Acht lassen sollte. Um optimal für positives Erleben gestalten zu können, sollten auch die psychologische Bedürfnisse und Bedarfe der Schaffenden erfüllt sein. Fühlen sie sich z.B. in digitalen Meetings mit den anderen verbunden (Thema Socializing) oder kann jeder mit den digitalen Tools umgehen oder fehlen dafür die nötigen Kompetenzen?
Zusätzlich ist es wichtig, dass die Bedürfnisse und die zugehörige wissenschaftliche Bedürfnistheorie so aufbereitet werden, dass sie zugänglich für die Gestaltenden werden. Das ist ein wesentliches Thema unserer Forschung – wie kann man die abstrakten Begriffe und psychologischen Modelle anschaulicher und begreifbarer darstellen? Hierfür haben wir verschiedene Methoden wie z. B. die Bedürfnispersona entwickelt. Bei der Bedürfnispersona werden die abstrakten Bedürfnisse personifiziert. So entsteht dann z. B. die Bedürfnispersona Karl Kompetenz, welche alle Aspekte des Bedürfnisses Kompetenz in Form einer Persona anschaulich macht.
Bei uns stehen die Nutzenden und ihre psychologischen Bedürfnisse im Mittelpunkt. Ziel ist es, negative Emotionen im Zusammenhang mit einem Produkt oder Service zu vermeiden und ein Design für Wohlbefinden zu schaffen.
Jetzt wurde gerade schon von der Entwicklung, dem Design und den Methoden dahinter gesprochen. Wie sieht so ein konkretes Vorgehen aus, Michael?
Prof. Dr. Michael Burmester: Anne hat es gerade schon gesagt. Wir haben gewisse Verfahren entwickelt, um diese etwas sperrigen theoretischen Modelle, die aus der Psychologie kommen, in die Gestaltungsprozesse zu integrieren. Zusätzlich verfolgten wir auch noch einen zweiten sehr hilfreichen Ansatz für Gestaltende. Dafür haben wir die positiven Erlebnisse in einem bestimmten Kontext, beispielsweise in einer Arbeitsumgebung, durch spezielle Erlebnisinterviews erhoben.
In einem Forschungsprojekt haben wir 400 Interviews geführt, nachdem wir ein paar aussortiert hatten, da es sich bei den Antworten nicht wirklich um positive Erlebnisse handelte, blieben immerhin noch 360 Erlebnisse übrig. Diese haben wir zu Kategorien zusammengefasst. Daraus entstanden insgesamt 17 Erlebniskategorien, die auf Arbeitskontexte passen und mit denen man hilfreiche Ideen entwickeln kann. Dazu gehört z. B. so etwas wie „gemeinsam etwas schaffen“, was wiederum die gemeinsamen Ziele der Gruppe und die Teamarbeit ausdrückt. In unserem Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Usability entwickeln wir solche Verfahren und wir optimieren auch bestehende Verfahren weiter.
D. h. ihr habt von einem riesigen Datenschatz aus diesen Interviews gewisse Kategorien herausgefiltert, die generell wichtig sind für die positiven Erlebnisse und Bedürfnisse im Arbeitskontext. Und danach kann man den Arbeitsplatz oder Produkte gestalten, ist das richtig?
Prof. Dr. Michael Burmester: Genau. Mit diesen Kategorien wissen wir, was wichtig in der Arbeit ist. Dazu habe ich drei Beispiele:
1. Überblick behalten über den eigenen Fortschritt:
Menschen haben in der Arbeitswelt ein psychologisches Bedürfnis nach Kompetenz. Passende Erlebniskategorien dazu lauten „Feedback bekommen“ oder „Überblick haben“. Das entsprechende Feedback dazu bekommt man entweder von einem Computer oder von jemandem in der Kollegschaft.
2. Gruppenarbeit und Dankbarkeit:
Innerhalb eines geschaffenen Kommunikations-Tools haben wir eine Möglichkeit entwickelt, dass man gegenseitig Dank ausdrücken kann, z. B. für eine gelungene Gruppenarbeit. Allerdings muss die Dankbarkeit exklusiv sein und zwischen zwei Personen stattfinden. Denn sonst ist es eher eine Art „Liken“ und das wäre öffentlich, was wiederum zu einem Wettkampf beitragen könnte, was vielleicht motivierend sein kann, aber eher negativ erlebt wird.
3. Assistenzsysteme und zu etwas Höherem beitragen:
Wir haben bei einem Projekt in ein Assistenzsystem für die Produktion verschiedene positive Erlebniskategorien in Gestaltungsideen umgesetzt. Das System unterstützt einerseits die Mitarbeitenden bei der Reihenfolge, wie bestimmte Bauteile zusammengeschraubt werden müssen. Andererseits kann das System angeben, wie wichtig die erledigte Arbeit für das Unternehmen, für den Kunden oder das Team ist, z. B. kann angegeben werden, wer mit meinem Arbeitsergebnis weiterarbeitet. So wird ein Gefühl „zu etwas Höherem“, also zu etwas das über meine Person hinausgeht, beizutragen erzeugt, was ein sehr tiefgehendes, positives Erlebnis ist.
In den vergangenen Monaten haben wir eine Art Digitalisierungsschub erlebt. Wie kann man die Menschzentrierung oder die Emotionen auch in einer digitalisierten Arbeitswelt sicherstellen?
Prof. Dr. Michael Burmester: Wir müssen Arbeit ein bisschen breiter verstehen, als dies häufig der Fall ist. Arbeit ist viel mehr als nur seine Aufgaben zu erledigen, denn sie ist ein großer Teil unseres Lebens. Früher gab es in der Psychologie so etwas wie Arbeitsfreude. Das ist irgendwann verschwunden, aber wir möchten da wieder anknüpfen. Und das Gute ist, mit der Digitalisierung haben wir viele Möglichkeiten das zu tun, was oft übersehen wird. Vernetzte digitale Systeme haben mehr Wissen über Arbeitsvorgänge und können diese anzeigen, besser als es analoge Systeme je tun könnten.
Arbeit ist viel mehr als nur seine Aufgaben zu erledigen, denn sie ist ein großer Teil unseres Lebens. Deshalb fokussieren wir die Frage "Wie kann ich als Unternehmen Wohlbefinden in der Arbeit schaffen?". Hierbei bietet die digitale Technologie eine Menge an Möglichkeiten.
Auf den ersten Blick klingt es erst einmal paradox, weil man denkt Digitalisierung schafft keine Nähe. Aber ihr sagt bewusst, doch und es kann sogar der Faktor sein, der dies begünstigt.
Prof. Dr. Michael Burmester: Man muss das nur als Gestaltungsziel formulieren und in diese Richtung auch entwerfen. Wenn man eine traditionelle Sichtweise auf Digitalisierung hat, dann werden digitale Systeme eher wie Werkzeuge gesehen. Wenn ich also mit vielen Daten umgehen muss, dann hilft mir eine Datenbank und ich muss mir nicht alles merken oder anderweitig dokumentieren. Die Datenbank ist ein Werkzeug, das mir die Arbeit erleichtert. Und wir müssen jetzt einen Schritt weitergehen und fragen, was ist denn über die reine Aufgabenerfüllung hinaus in der Arbeit noch wichtig? Wie kann ich Wohlbefinden in der Arbeit schaffen? Und da bietet die digitale Technologie eine Menge an Möglichkeiten.
Es gibt sicher Skeptiker oder man steht selbst vor gewissen Hürden. Was sind generell Hürden, die Du aus Deiner Arbeit identifiziert hast?
Prof. Dr. Michael Burmester: Wir haben es in der Tat mit einem merkwürdigen Spannungsfeld zu tun. Die Unternehmen zeigen großes Interesse an Gestaltung für positive Erlebnisse und Wohlbefinden. Daraufhin unterstützen wir die Unternehmen häufig dabei, entsprechende Lösungen zu finden. Aber dann stellen wir fest, dass die erarbeiteten Ergebnisse gar nicht umgesetzt werden. Deshalb haben wir jetzt angefangen, direkt nachzufragen: „Ihr habt das doch entwickelt, warum setzt ihr das nicht um?“ Als Antwort kommt dann beispielsweise, dass die Anforderungen des Kunden letztendlich wichtiger waren. Und somit sind die Unternehmen in ihrem alten Verständnis von Digitalisierung zurückgefallen. Doch woran liegt das, dass positive Aspekte gegenüber „handfesten“ Problemlösungen zurückfallen?
In der Psychologie gibt es einen Ansatz namens Negativity Bias, der vorsichtig formuliert vielleicht eine Erklärungsmöglichkeit bietet. Der Negativity Bias besagt, dass wir als Menschen besonders darauf geeicht sind, Probleme zu lösen, also Negatives zu beheben und diesem Bestreben sehr viel Aufmerksamkeit schenken. D. h. ich habe mehrere Objekte, positive und negative, und mir fallen hauptsächlich die negativen auf. Es gibt Psychologinnen und Psychologen, die sagen, dass es ein evolutionärer Vorteil war. Überspitzt gesagt, sind früher dummerweise alle Optimisten gefressen worden. Also, es raschelt im Gebüsch und dann war es eben nichts freundliches, sondern irgendetwas gefährliches. Und das heißt, wir sind darauf ausgerichtet, auf Negatives zu achten.
Und genau hier setzen wir an: In Gestaltungsteams müssen wir das Mindset dafür schärfen. Die Leute sollen sehen und auch sensibilisiert sein, dass wir als Menschen sehr leicht wieder in diese pragmatischen Verhaltensmuster zurückkehren. Es heißt nicht, dass Problemlösen nicht richtig ist. Das brauchen wir sogar unbedingt. Aber um ein wirkliches Wohlbefinden zu entwickeln, müssen wir eben auch Positives schaffen. Es reicht nicht aus, das Negative nur wegzubringen und darauf zu hoffen, dass das Positive von selbst entsteht. Das ist aber oft die Haltung, mit der wir uns häufig konfrontiert sehen.
Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leiterin Technologie- und Innovationsmanagement bei der Bayern Innovativ GmbH.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
How to innovate - Positive User Experience in der Arbeitswelt schaffen
In dieser Podcast-Folge spricht Dr. Tanja Jovanovic mit Anne Elisabeth Krüger (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team User Experience am Fraunhofer IAO, Leiterin des Projekts am Fraunhofer IAO), Prof. Dr. Michael Burmester (Professor für Ergonomie und Usability an der Hochschule der Medien, Konsortialleitung des Projektes) sowie Anja Groß aus unserem Bereich Technologie- und Innovationsmanagement darüber, warum Unternehmen Usability und User Experience als Erfolgsfaktoren nicht unterschätzen dürfen.
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