Agiles Arbeiten als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit in der modernen Arbeitswelt
Expertentipps für die Umsetzung agilen Arbeitens in der Praxis
Deutsche Unternehmen beschäftigen sich zunehmend mit neuen Arbeitsmethoden, um den Anforderungen der sich stetig verändernden Arbeitswelt gerecht zu werden. Ein zentrales Konzept dabei ist das „agile Arbeiten“, welches in der Softwareentwicklung entstanden ist und mittlerweile auch in vielen anderen Branchen als innovativer Ansatz zur Projektsteuerung und Zusammenarbeit gilt. Doch was bedeutet agiles Arbeiten für Unternehmen wirklich? Welche Vorteile und Herausforderungen bringt es mit sich, wenn Unternehmen diese Methode einsetzen? Kann agiles Arbeiten zur Bewältigung der komplexen Anforderungen der modernen Arbeitswelt beitragen? Und inwiefern kann agiles Arbeiten in Unternehmen gut umgesetzt und gelebt werden? Diese und weitere spannende Fragen erörtern die Soziologin Prof. Dr. Sabine Pfeiffer vom Lehrstuhl für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik, Arbeit, Gesellschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Dr. Hans Egermeier, Geschäftsführer der talsen team GmbH im nachfolgenden Interview.
Herr Dr. Egermeier, was bedeutet agiles Arbeiten aus Unternehmenssicht?
Dr. Hans Egermeier: In einer sich rasant wandelnden Welt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, sich schnell und flexibel an Veränderungen anzupassen. Denn der Wettbewerb schläft nicht. Diese Schnelligkeit können Unternehmen durch einfache Arbeitstools, wie z. B. tägliche Stand-up-Meetings, erreichen. Hier teilen Teams ihre Fortschritte und identifizieren Hindernisse. Durch eine offene Feedback-Kultur werden sowohl die Eigeninitiative als auch das Engagement für neue Impulse innerhalb des Teams gefördert und eine schnelle Handlungsfähigkeit des Unternehmens langfristig ermöglicht.
Frau Prof. Dr. Pfeiffer, gehen Sie mit dieser Aussage konform?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Es waren zwei Aspekte dabei, bei denen ich ein Fragezeichen machen würde. Stand-up-Meetings sind nur ein Tool innerhalb des agilen Projektmanagements und allein dadurch wird nicht vieles schneller. Normalerweise sollte man davon ausgehen können, dass Menschen in einem Team auch so ab und an miteinander sprechen. Das Stand-up-Meeting hat eine spezielle Funktion und ohne die anderen Elemente zu integrieren, werden im Unternehmen kaum Prozesse schneller würde ich sagen.
Herr Dr. Egermeier, wie stehen Sie zur Aussage von Frau Pfeiffer?
Dr. Hans Egermeier: Also die Stand-up-Meetings sind natürlich nur ein Element. Man muss im Kopf behalten: Warum sind agile Methoden denn so interessant für Unternehmen? Einerseits durch die strikte Kundenorientierung, wobei man durch das Schaffen von Werten für Kunden als Unternehmen erfolgreich sein kann. Andererseits um reaktionsfähig zu bleiben, also nicht von Entscheidungen aus der Vergangenheit getrieben zu werden, sondern immer wieder die beste Entscheidung in der aktuellen Situation fällen zu können. Auf diese Weise arbeiten zu können ist ein hartes Geschäft. Aber das Stand-up-Meeting ist ein wesentlicher Kommunikationsteil, um wichtige Informationen auszutauschen.
Was wäre denn eine gangbare Definition des Begriffs “Agiles Arbeiten” für Sie, Frau Dr. Pfeiffer? Handelt es sich um einen Hype oder ein Modewort?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Ich würde sagen, es gibt sehr viele Ausprägungen von agilem Arbeiten. Ursprünglich kommt der Begriff aus der Softwareentwicklung und ist als eine neue Variante des Projektmanagements gemeint, mit einem klaren Set an Methoden und Tools und einem klaren Fokus vor allem auf Entwicklungsarbeit. Es ist jedoch in den letzten Jahren in vielen Unternehmen zu einem vagen Synonym für Arbeiten auf eine „andere und kommunikativere Art und Weise“ geworden. Wenn das mit Agilität gemeint ist, dann ist es wirklich oft nur ein Hype-Wort mit wenig dahinter. Das geht dann weit weg von der Ursprungsidee der Entwickler/innen qualitativen Programmcode zu schreiben, statt sich bürokratischer Dokumentation zu widmen. Eben seine Arbeitszeit autonom gestalten zu können und im Team nächste Schritte planen zu können, ohne dass jemand von oben mit einer anderen Aufgabe reinfunkt. Die Elemente der autonomen Entscheidung im Team und der Qualität der Arbeit sind wichtig, aber oft wird mit Agilität viel anderes verstanden.
Herr Dr. Egermeier, Sie schrieben mal: „Die digitale Transformation ist kein Hype, sondern ein Zustand“. Dazu gehört auch das agile Arbeiten, oder? Wie ist Ihre Definition?
Dr. Hans Egermeier: Ich glaube es ist ein Zustand, weil agiles Arbeiten nicht neu ist. Die wesentlichen Frameworks und Definitionen für agiles Arbeiten, die damals das Projektmanagement optimieren sollten, wurden schon Mitte der 90er Jahre konzipiert (Quelle: https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html) . Das ist schon einige Zeit her. Und da seither manche Teams agil arbeiten, haben wir definitiv einen Zustand und zugleich einen ständigen Wandel. Die digitale Transformation zum Beispiel ist nicht irgendwann 2014 einfach entstanden, sondern hat schon davor stattgefunden und findet weiterhin laufend statt, was man jetzt auch beim Thema KI sieht. Es geht immer einen Schritt weiter und daher ist es definitiv ein Zustand.
Und zum zweiten Teil der Frage: Was ist die Definition von agilen Arbeiten? Da halte ich mich sehr nah an den ursprünglichen Ideen. Damals haben sich ca. 20 führende Fachleute von leichtgewichtigen Methoden getroffen und haben die wichtigsten Eckpunkte, was agiles Arbeiten wirklich ausmacht, zusammengeschrieben. Dadurch ist keine echte Definition nach wissenschaftlich Kriterien entstanden und dementsprechend wird jetzt der Begriff „agiles Arbeiten“ für vieles verwendet. Wenn ein Chef morgens ins Unternehmen kommt und ad hoc eine Entscheidung trifft - ist das agil oder nicht? Ich glaube die Idee im Sinne der Erfinder war eher echte Reaktionsfähigkeit zu erreichen und im Sinne des Kunden reagieren zu können.
KI wird die Softwareentwicklung stark verändern, indem sie die Erstellung und das Denken automatisiert. Das wird Entwicklungszyklen beschleunigen und die Erwartungen unserer Kunden erhöhen. Auch agile Methoden werden davon betroffen sein, und wir bei der talsen team GmbH bereiten uns bereits jetzt darauf vor.
Dr. Hans Egermeier
CEO, talsen team GmbH
Frau Prof. Dr. Pfeiffer, wie würden die Erfinder die heute allgemeingültige Auslegung des Begriffs und unsere Arbeitswelt sehen?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Wenn man im Netz unterwegs ist, findet man auch viele Softwareentwickler/innen, die mittlerweile auch sehr negativ über Agilität reden. Das hat aber meistens damit zu tun, dass Agilität eben oft nicht so eingeführt wird, wie es sollte. Also mit dem Fokus auf Kundennutzen und auch mit dem Fokus auf „Sustainable Pace“, wie es in den damaligen Eckpunkten festgehalten wurde. Damit ist ein Arbeitsstil gemeint, der die Leute nicht ausnutzt und wo durchgeatmet werden kann. Genau so wird es jedoch von vielen Unternehmen, besonders großen Unternehmen, nicht umgesetzt. Sie missverstehen agile Methoden oft als reines Beschleunigungstool. Das nimmt genau den Qualitätsaspekt der Arbeit schnell wieder weg.
Wenn Agilität zum Organisationshype wird und alles ein agiles Label bekommt, jedoch im Unternehmen weiterhin eine „top down“ Organisation herrscht und die Mitarbeiter nicht wirklich agil arbeiten können, dann bekommt man das Schlechteste aus beiden Welten. Wenn diese Strukturen zum Workload der Mitarbeiter noch dazu kommen, überrascht es nicht, wenn diese mit dem Begriff „agiles Arbeiten“ nichts mehr Positives assoziieren. Schlussendlich wird die eigentliche Idee hinter agiles Arbeiten durch eine falsche oder missverständliche Umsetzung diskreditiert.
Herr Dr. Egermeier, welche Aspekte des agilen Arbeitens sind in Ihrem Unternehmensalltag bereits integriert?
Dr. Hans Egermeier: Ich hoffe, relativ viele aber im Prinzip ist es ein ständiges Lernen. Der wahrscheinlich wichtigste Aspekt ist, dass wir uns als Unternehmen vorgenommen haben, unsere Lerngeschwindigkeit zu maximieren. Schließlich verändern sich meine Mitarbeiter, unsere Herausforderungen und die Technologien stetig weiter. Wenn man die Lerngeschwindigkeit und die Kompetenzen auf Mitarbeiterebene stärkt, dann kann man davon ganz viele weitere Themen ableiten. Wenn man in der Lage ist Dinge gut zu erledigen, dann kann man sie auch schnell erledigen, ohne zum Beispiel Fehler zu machen, die hintenrum wieder behoben werden müssen. Mit einem kompetenten Team kann im Sinne des Kunden agiert werden und eine hohe Geschwindigkeit über lange Zeit aufrecht gehalten werden. Zusätzlich versuchen wir im Unternehmen manuelle Tätigkeiten, wenn möglich, zu automatisieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter auf den wertschöpfenden Teil ihrer Arbeit konzentrieren können. Schlussendlich wollen wir die Ziele der Reaktionsfähigkeit und bestmöglichen Arbeit zum Kunden hin durch Lernen auf Organisationsebene und Mitarbeitereben erreichen.
Und wie stellen Sie sicher, dass das agile Arbeiten in Ihrem Unternehmen auch gut umgesetzt wird, also im ursprünglichen Sinne?
Dr. Hans Egermeier: Im Prinzip ist es eigentlich nur Zuhören. Einerseits meinen Kunden zuhören und herausfinden, ob sie zufrieden sind oder ob es noch Raum für Verbesserung gibt. Andererseits genauso in die Richtung meiner Mitarbeiter zuhören. Man muss immer davon ausgehen, dass in meiner Position bzw. generell als Stakeholder oder Führungskraft man systematisch viele Dinge nicht sehen kann und nicht die richtigen Fragen stellt, um diese herauszufinden. Deswegen ist das richtige Zuhören der erste Schritt, um sicherzustellen, dass man besser werden kann. Zuhören kann im direkten Gespräch erfolgen, man sollte jedoch auch die richtige Basis für regelmäßiges Zuhören schaffen. Das können tägliche Stand-up-Meetings oder Review-Meetings sein. Ebenfalls eignen sich Retrospektiven für ein organisiertes zuhören, bei dem man sich gegenseitig zuhört und versteht, an welchem Punkt man gerade steht und was verändert werden muss.
Wie kann denn aus Ihrer Sicht agiles Arbeiten in Unternehmen gut umgesetzt und gelebt werden, Frau Prof. Dr. Pfeiffer?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Also ganz wichtig ist, dass man bei der Einführung schon die Beschäftigten integriert und nicht von oben herab kommandiert. Das gilt zwar für viele Bereiche, ist aber beim agilen Arbeiten besonders wichtig. In unserer Forschung sehen wir auch, dass in vielen Unternehmen die Teams auch von sich aus anfangen agil zu arbeiten. Wenn der Rest der Organisation jedoch nicht agil arbeitet, entstehen trotzdem viele Reibungspunkte. Daher gilt: Ohne die Beschäftigten in den Prozess miteinzubeziehen funktioniert in der Regel nichts.
Genauso wichtig ist es, genau hinzuschauen in welchen Bereichen agiles Arbeiten überhaupt Sinn macht, anstatt es in jedem Bereich des Unternehmens einführen zu wollen. Man muss sich fragen: Passt es wirklich zu den eigenen Prozessen? Oder benötigt man vielleicht Mischformen von agilem Arbeiten im eigenen Unternehmen. Außerdem gibt es eine Tendenz in Unternehmen agiles Arbeiten strikt nach Lehrbuch einführen zu wollen. Wenn jedoch im Lehrbuch steht, ein Sprint sollte immer zwei Wochen sein, aber im eigenen Kontext machen vier Wochen mehr Sinn, muss man davon abweichen können. Genau diesesFähigkeit einzuschätzen, wo folgt man der Methode und wo weicht man sinnvoll ab, kann verbessert werden, indem den Beschäftigten mehr zugehört wird. Oft werden kritische Argumente von Beschäftigten auf Führungsebene als Ablehnung von Veränderung verstanden. Jedoch sind diese Argumente oft reelle Kritikpunkte, die aus dem Arbeitsalltag der Beschäftigten kommen. Schlussendlich passt vielleicht das Rezeptbuch an manchen Stellen nicht, und hier und da müssen Abwandlungen gemacht werden, die für die eigenen Prozesse, die Beschäftigten und interne Teamzusammensetzungen besser passen.
Damit kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt. Agile Methoden leben meistens davon, dass Teams auch von den Kompetenzen her gut zueinander passen und gegenseitig Aufgaben übernehmen können. Denn die Idee hinter agilem Arbeiten ist, dass ein Mitarbeiter, der nicht hinterherkommt und eine Deadline nicht schafft, von einem anderen Mitarbeiter unterstützt wird. Das funktioniert jedoch nur, wenn das Team sich in den Kompetenzen überschneidet. Daher ist es für funktionierendes agiles Arbeiten wichtig, dass man sich mit der Methode und der Idee gut beschäftigt und bereit ist, wenn nötig, das Rezeptbuch anzupassen.
Meine Frage an Sie beide: Was macht aus Ihrer Sicht das Thema so attraktiv für Unternehmen?
Dr. Hans Egermeier: Es gibt sehr viele Punkte, die agiles Arbeiten attraktiv machen. Wir leben in einer Zeit, in der wir oft mit komplexen Herausforderungen konfrontiert werden. Komplexe Herausforderungen bedeuten, dass man eigentlich immer erst hinterher sagen kann, ob eine Handlung gut oder schlecht war. Feedback-Loops müssen daher kurz sein, sonst entsteht ein großes Risiko, zu lange etwas Falsches zu machen. Agile Methoden helfen genau in solchen komplexen Umfeldern richtig zu reagieren, indem man schnell durch Zuhören Informationen einsammeln kann, schnell reagieren kann und eben nicht von Entscheidungen aus der Vergangenheit getrieben wird. Das planbasierte Arbeiten hat nach wie vor seinen Sinn und Grund, aber ich denke, je komplexer es wird, desto attraktiver ist agiles Arbeiten.
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Ein weiterer wichtiger positiver Aspekt ist, dass wenn man schnell und häufig auf Kundenbedürfnisse eingeht, die Qualität der Produkte einfach besser wird. Gerade bei großen Entwicklungsprojekten ist es wichtig im regelmäßigen Austausch mit den Kunden zu stehen, damit diese rechtzeitig Feedback geben können und man nicht zu lange in die falsche Richtung, also weg von den Vorstellungen der Kunden, entwickelt. Da können agile Methoden sehr hilfreich sein.
Ein zusätzlicher Vorteil ist die verbesserte Abschätzung des Arbeitsaufwandes im Team. Ein Element von agilem Arbeiten ist das gemeinsame Abschätzen zu Beginn eines Projekts, wie lange die nächsten Aufgaben jeweils dauern werden. Oft wird die Komplexität der einzelnen Aufgaben zunächst unterschätzt, auch von Personen mit viel Erfahrung in einem Bereich. Die Teams, die anfangs gemeinsam den Zeitaufwand abschätzen, lernen im Laufe der Zeit tatsächlich den Arbeitsaufwand besser einzuschätzen. Dieser Lerneffekt hat fürs Unternehmen den großen Vorteil, dass die Planung von Projekten und die Angebote an Kunden viel realistischer in Bezug auf den Zeitaufwand sind.
Eine unterschätzte Methode im agilen Projektmanagement ist das gemeinsame Schätzen im Team, wie lange einzelne Aufgaben im nächsten Sprint dauern. Dadurch sammeln alle viel Erfahrung, denn bei geistigen Tätigkeiten unterschätzen wir alle oft die Komplexität der Aufgaben, die sie sich erst im Doing zeigt. Eine gute Methode gegen Belastung und für einen „sustainable pace“.
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer
Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik - Arbeit - Gesellschaft, FAU Erlangen-Nürnberg
Welche konkreten Handlungsempfehlungen geben Sie Unternehmen, die agile Arbeitsmethoden einführen wollen?
Dr. Hans Egermeier: Als Unternehmen sollte man wissen, was man will und wo man sich befindet. Ich vermute, die meisten Unternehmen wissen das auch. Und wenn man als Unternehmen in einem komplexen Umfeld agiert und besser werden möchte, wäre meine erste Empfehlung es einfach mal zu machen. Auch die Leute, die vor 20 Jahren leichtgewichtige Methoden vorgedacht haben, hatten kein Scrum-Zertifikat. Das Beschäftigen mit der ursprünglichen Idee, was agiles Arbeiten eigentlich ausmacht, finde ich hilfreich, denn die damaligen Erkenntnisse sind so aktuell wie nie zuvor. Das wäre der erste Startpunkt. Zusätzlich sollte man sich viel mit Leuten austauschen, die ebenfalls mit agilen Techniken und Methoden arbeiten, um zu sehen, wie es in der Umsetzung aussehen kann. Daran kann man gut seinen eigenen Standpunkt und seine eigenen Ziele definieren. Außerdem gibt es immer die Möglichkeit sich über Konferenzen auszutauschen oder Dienstleister zu kontaktieren, die einem dabei helfen agile Methoden in größeren Unternehmen einzuführen. Ich würde aber sagen, der erste Schritt ist einfach mal machen!
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Ich würde auch noch dazu raten, sich im Unternehmen genauer anzuschauen, was man bisher beim klassischen Projektmanagement gemacht hat und sich zu fragen, was hat eigentlich gut oder schlecht funktioniert. Probleme, die schon vorher im klassischen Projektmanagement vorhanden waren, werden oft mit ins Neue getragen. Diese haben dann nichts mit der Methode zu tun, sondern sind viel mehr Ausdruck ungeklärter Prozesse, kultureller Missverständnisse im Unternehmen oder anderen Problemstellen. Wenn man diese Probleme nicht aufarbeitet, können sie sich im neuen System noch verstärken. Da lohnt es sich vor der Einführung zurückzugucken, welche bisherigen Probleme haben mit der vermeintlich alten Methode des klassischen Projektmanagements zu tun und welche haben vielleicht noch ganz andere Ursachen.
Dr. Hans Egermeier: Da kann ich kurz einspringen und erwähnen, dass der Grad an Agilität, den man im Unternehmen erreichen kann, häufig schon mit Vertriebsaktivitäten zusammenhängt. Wenn der Vertrieb Versprechungen macht, die die Entwicklung kaum einhalten kann, ist der erste Teil der Agilität schon einkassiert und sie können kaum mehr richtig agil sein. Daran sieht man, dass Agilität mit allen Unternehmensteilen korreliert und es nicht ausreicht, wenn zum Beispiel nur das Softwareteam agil arbeitet. Denn es gibt auch Abteilungen, die nicht so agil sein können, wie man es im Unternehmen vielleicht möchte. Unter anderem in der Hardwareentwicklung gibt es Lieferzeiten von mehreren Monaten und wenn eine Entscheidung heute nicht getroffen wird, kommt man in sechs Monaten vielleicht nicht weiter. Da benötigt es manchmal andere Methoden für mehr Reaktionsfähigkeit. Gleichzeitig muss aber immer der Schulterschluss mit den agileren Abteilungen gesucht werden, um funktionsfähig arbeiten zu können.
Wie wird sich die Arbeitswelt weiter verändern und wie richten Sie Ihre Forschung bzw. Ihr Unternehmen darauf aus?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Unser Umfeld wird noch mehr Agilität erfordern, weil mehr Einflussgrößen und Veränderungen dazukommen. Es wird vermehrt geopolitische Entwicklungen geben, die ökologische Transformation trifft immer mehr Unternehmen an unterschiedlichen Stellen, die Digitalisierung geht natürlich weiter und die Boomer-Generation geht in Rente. Unternehmen müssen daher viel umorganisieren, um leistungsfähig und innovationsfähig zu bleiben. Für unsere Forschung heißt das, wir müssen genau hingucken. Wir versuchen zu verstehen, warum es in manchen Unternehmen ganz gut funktioniert und warum in anderen nicht. Dafür gehen wir in die Unternehmen rein und versuchen in unserer Forschung Effekte herauszulösen, welche dann anderen Unternehmen helfen können.
Dr. Hans Egermeier: Künstliche Intelligenz wird uns maßgeblich verändern, gerade in der Softwareentwicklung wird es möglich sein, softwareautomatisiert etwas erstellen zu lassen. Generell die Automatisierung des Denkens ist eine große Veränderung und wird in Zukunft Entwicklungszyklen nochmal deutlich beschleunigen. Auch die Kunden erwarten den Einsatz von KI und eine einhergehende Beschleunigung der Arbeit. Ich denke, das hat eine große Rückschlagwirkung darauf, wie agile Methoden einzusetzen sind und auf diese Veränderung bereiten wir uns vor.
Das Interview führte Dr. Petra Blumenroth, Projektmanagerin Transformation bei der Bayern Innovativ GmbH.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Agiles Arbeiten in Unternehmen: 2 Perspektiven auf die Arbeitswelt 4.0 (28.08.2024)
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer (FAU Erlangen-Nürnberg) und Dr. Hans Egermeier (CEO, talsen team GmbH) diskutieren die Frage "Was bedeutet Agiles Arbeiten in Unternehmen" aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Gleich reinhören und als Team durchstarten.
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