E-Scooter als sichere und umweltbewusste Alternative?
Experiment E-Scooter: Tobias Griesmeier und Maryna Pobudzei ziehen Bilanz aus den vergangenen fünf Jahren
22.08.2024
Wie sinnvoll sind E-Scooter als Mobilitätsalternative wirklich? Wie hoch ist die Nachfrage? Und wie sieht es in Hinsicht auf Sicherheit und Umweltverträglichkeit aus? Die Antwort auf diese und viele weitere spannende Fragen liefern Ihnen Tobias Griesmeier (Head of Regulatory Affairs bei TIER Mobility) und Marina Pobudzei (Researcher & Project Lead - Shared Micromobility im Projekt MORE Sharing für die Universität der Bundeswehr München) im nachfolgenden Interview.
Gab und gibt es für E-Scooter in Deutschland überhaupt einen Bedarf aus Sicht, Tobias?
Tobias Griesmeier: Ja, absolut. Und den Bedarf sehen wir auch heute noch, wenn wir auf die Straßen schauen und in das Jahr 2023 zurückgehen.
Die Autofahrer haben in dem Jahr über 400.000 Stunden im Stau verbracht. München wurde erneut Deutschlands Stauhauptstadt mit über 74 Stunden, die jeder Bürger dort im Stau steckte. Wir sehen also, dass hier ein unglaublich wirtschaftlicher Schaden entsteht und natürlich auch ein sehr großer Schaden für das Klima und auch für die Gesundheit der Bürger. Von daher besteht definitiv ein hoher Bedarf an Mobilitätsalternativen, sowohl damals 2019 wie auch heute im Jahr 2024.
Und wenn wir noch mal tiefer in die Städte reinblicken, dann sehen wir zum Beispiel, dass knapp 40 Prozent der mit dem Privat -Pkw zurückgelegten Strecken nicht länger als zwei Kilometer sind. 70 Prozent der innerstädtischen Pkw -Fahrten sind unter fünf Kilometer. Das ist also ein enormes Potenzial, das es hier noch auszuschöpfen gilt. Übrigens nicht nur für den E-Scooter, sondern auch für alle anderen Sharing-Angebote die es gibt, von Bike Sharing bis zu Car Sharing, aber auch für den ÖPNV. Das heißt, der Bedarf an Mobilitätsalternativen ist heute noch genauso da, wie er 2019 da war.
Tobias, Du vertrittst natürlich die Sicht eines E-Scooter-Anbieters. Aber wie sieht der Bedarf aus wissenschaftlicher Sicht aus, Maryna?
Maryna Pobudzei: E-Scooter sind vor allem in Großstädten beliebt. Sie bieten eine flexiblere und schnellere Fortbewegung. Sie lassen sich auch gut in bestehende Verkehrssysteme integrieren, was man nicht unterschätzen darf. Zudem haben wir Apps, womit wir Fahrzeuge flexibel mieten können, was eine superwichtige Rolle bei der Nutzung spielt. Die Scooter bieten eine Alternative für andere Verkehrsmittel und sie können tatsächlich Lücken im Mobilitätsangebot schließen. Das haben auch unterschiedliche Studien erwiesen. Deshalb sind sie auf jeden Fall eine Alternative, die gerne benutzt wird.
Tobias, welches Resümee ziehst Du nach fünf Jahren E-Scooter-Betrieb mit Fokus auf die Stadt München?
Tobias Griesmeier: Also zum einen ist unser Rückblick aus unternehmerischer Sicht sehr positiv. Denn wir sehen, dass wir mit unserem Angebot durchaus einen Nerv getroffen haben. Wir haben eine umgebrochen hohe Nachfrage. Die Nutzer wollen sich schnell und ohne Stau durch die Stadt bewegen. Das ist klar. Aber als jemand, der auch viel mit den Städten spricht, viel mit politischen Entscheidungsträgern zusammenkommt, da fällt meine Bilanz dann doch etwas nüchterner aus. Wir sehen zum einen, dass zwar die kommunalen Klimaschutzpläne und auch Verkehrsstrategien vermehrt Sharing und auch den E -Scooter als notwendigen Baustein sehen. Aber die Städte tun sich weiterhin sehr schwer mit der Umsetzung.
Hier wird viel zu oft meines Erachtens das Auto gegen alle anderen Mobilitätsträger ausgespielt – teilweise auch der Umweltverbund untereinander – und viele Projekte dann oftmals verhindert. Gleiches sehen wir auch in der Bundespolitik. Wir haben jetzt endlich auch die Anpassung im Straßenverkehrsgesetz bekommen. Das heißt, die Einrichtung von Radwegen oder auch Tempo-30-Zonen ist deutlich erleichtert. Aber der Weg dahin war sehr politisch und beschwerlich und ist auch noch nicht wirklich abgeschlossen. Die Straßenverkehrsordnung ist noch eine recht große Baustelle. Von daher glaube ich, dass es noch sehr viel zu tun gibt. Wir, als Sharing-Anbieter, haben auch einen Anschub geleistet. Wir haben jetzt Diskussionen, die wir vor fünf Jahren noch nicht hatten. Sprich, wie sieht die Aufteilung des öffentlichen Raums aus? Brauchen wir mehr Platz für andere Verkehrsmittel und Sonstiges? Also da ist eine Diskussion im Gange, die aber noch lange nicht abgeschlossen ist.
E-Scooter-Anbieter sollten verpflichtet werden, ein konkretes Konzept für das Recycling defekter E-Scooter auszuarbeiten. Außerdem könnten Kommunen Bildungs- und Sensibilisierungs-kampagnen unterstützen, die die Bürger über den korrekten, umweltfreundlichen und sicheren Umgang mit E-Scootern informieren.
Maryna Pobudzei
Researcher & Project Lead - Shared Micromobility,
Universität der Bundeswehr München
Maryna, ihr forscht zur Planung und Umsetzung von Mikromobilitäts-Sharing-Projekten und auch zur Integration der neuen Mobilität in die bestehenden Verkehrsdienste. Welches Resümee ziehst Du nach fünf Jahren E-Scooter-Sharing?
Maryna Pobudzei: Wir haben an der Universität der Bundeswehr sogar ein eigenes multimodales Sharing-System entwickelt. Es heißt „More Sharing“ und war eine Reaktion auf das Angebot, welches schon in den Städten vorhanden ist. Wir arbeiten dabei in Kooperation mit einem Münchner Unternehmen „iVico“ und haben auch eine App, wodurch wir unseren Nutzern Zugang zu einer breiten Palette an Mikromobilitätsfahrzeugen bieten. Das heißt wir haben Citybikes, E-Bikes, Cargobikes, E-Mobiles und natürlich E-Scooter. Bei der Entstehung des Angebots war für uns Multimobilität besonders wichtig. Denn wir erforschen vor allem, für welche Strecken bestimmte Verkehrsmittel benutzt werden und für welche Strecken sie geeignet sind. E-Scooter zum Beispiel haben sich dabei als besonders beliebt erwiesen, vor allem als schnelle Verbindung zum ÖPNV und auch für kurze Wege, wie Tobias schon erwähnt hat, innerhalb des Campus-Geländes. Wir fragen unsere Nutzer regelmäßig, was sie darüber denken und bekommen als Feedback, dass ihnen die Nutzung der Scooter Spaß macht. Als wir das System eingeführt haben, führten wir Umfragen durch und wollten wissen, welche Verkehrsmittel die Nutzer ins System aufnehmen wollten. Am Anfang wollten alle nur normale Fahrräder. Doch später, als es das Angebot auf dem Campus gab, hat sich gezeigt, dass die Scooter besonders beliebt sind. Wir nehmen auf jeden Fall mit: Wenn ein multimodales Angebot da ist, dann sind E-Scooter definitiv gefragt.
Tobias, wie viele ausleihbare E-Scooter gibt es in Deutschland und wie viele Menschen nutzen diese?
Tobias Griesmeier: Also wir beobachten, dass es auf jeden Fall immer mehr Scooter gibt und auch immer mehr Nutzer seit 2019. Wir sprechen momentan von ungefähr 200.000 Fahrzeugen, die im Sharing in Deutschland unterwegs sind. Dazu kommen nochmal ungefähr 700.000 privat genutzte E-Scooter. Von daher ist relativ viel los auf deutschen Straßen und es gibt natürlich auch eine steigende Nutzerbasis über die letzten fünf Jahre. Allein bei TIER Mobility konnten wir in Deutschland ungefähr 32 Millionen Fahrten generieren im letzten Jahr. Und wir sehen, nicht nur bei uns, sondern über die komplette Branche hinweg, dass die meisten Fahrten unter der Woche stattfinden. Das sind rund 75 Prozent und davon auch die meisten zu den ganz klassischen Pendlerzeiten von sieben bis 8 Uhr morgens und dann ab 16 Uhr wieder. Das heißt, der E-Scooter wird genau für die Wege genutzt, für die er auch gedacht ist. Die erste und letzte Meile zum Büro, zum ÖPNV, in die Arbeit, in die Universität und so weiter. Wir sehen aber auch, dass im Vergleich zu 2019, wo ja der Sharing-Betrieb erst seinen Anfang hatte, wir nicht nur ein urbanes, sondern mittlerweile ein weit regionales Angebot sehen. Das heißt, dass der E-Scooter im Sharing eben nicht nur in den Großstädten zu finden ist, sondern mittlerweile auch in Mittelstädten und in Kleinstädten mit 50-60.000 Einwohnern. Das macht es natürlich sehr viel spannender für die Nutzer, weil man eine viel bessere Verknüpfung mit den Nachbarstädten erreicht. Wenn ich First und Last Mile Angebote durch den E-Scooter besser abdecke, schneller zum ÖPNV zum Beispiel komme, dann komme ich auch schneller in die Nachbarstädte, zur Arbeitsstätte oder zur Universität. Diese Verknüpfung ist genau das, was wir seit 2019 versuchen wollten zu erreichen und mittlerweile wird uns auch in vielen Studien bestätigt, dass genau das geglückt ist.
Maryna, ist denn die Infrastruktur für E-Scooter überhaupt ausreichend und sind die vielen Diskussionen über die Begrenzung des öffentlichen Raums sinnvoll, wenn man sich die Zahlen anschaut?
Maryna Pobudzei: Infrastruktur ist auf jeden Fall ein Kernthema und ja diese muss eindeutig verbessert werden. Wir haben eine wachsende Nutzung, was eine getrennte Infrastruktur für E-Scooter und zumindest Fußgänger unbedingt erforderlich macht. Wir müssen Konflikte vermeiden und die Verkehrssicherheit erhöhen. Wichtig dabei sind Geschwindigkeitsbegrenzungen im öffentlichen Raum. Also zum Beispiel in sehr konzentrierten Räumen brauchen wir diese Sicherheit, die sich dort auch technisch umsetzen lässt. Tatsächlich sorgen feste Abstellflächen auch für mehr Ordnung, was wiederum zu weniger Beschwerden über hier herumstehende Scooter führt. Zusammengefasst ist die Infrastruktur also ganz klar ausbaufähig.
Wie umweltfreundlich sind E-Scooter, Tobias?
Tobias Griesmeier: Also wir haben natürlich zum einen ein sehr großes unternehmerisches Interesse daran, dass die Fahrzeuge möglichst lange halten. Wie vielleicht auch die wenigsten wissen, betrifft das übrigens auch die Refinanzierung. Denn nur durch eine lange Haltbarkeit können auch Kredite auf eine bestehende Flotte aufgenommen werden und dann für Investitionen genutzt werden. Keine Bank der Welt würde Fahrzeuge beleihen, die eben nur wenige Monate halten. Von daher versuchen wir auf jeden Fall Nachhaltigkeit möglichst ganzheitlich zu denken. Denn es ergibt keinen Sinn, eine lokal emissionsfreie Mobilität anzubieten, wenn alles andere drum herum, von der Herstellung, über Logistik, bis hin zum Recycling dann eben nicht mitgedacht wird. Von daher ist die ganzheitliche Betrachtungsweise für uns essentiell. Das beginnt bei der Herstellung. Wir versuchen die Recyclingquote von den eingesetzten Materialien schrittweise zu erhöhen. Das betrifft den Ökostrom in den Werkstätten und Büros, aber insbesondere auch Aluminium. Im Betrieb ist es uns natürlich wichtig, dass unsere eigene Logistik, sprich den Akkutausch oder das Einholen wartungsanfälliger Fahrzeuge möglichst emissionsfrei stattfindet. Wir nutzen zum Beispiel Lastenräder oder kleinere elektrische Fahrzeuge. Vielleicht ein Punkt zu den Akkus: damals, ich glaube, 2018/2019 war bei uns intern wie auch extern in der Öffentlichkeit noch eher die Sorge, dass die Batterien bzw. die Akku-Packs sehr störanfällig und somit genau der Bereich sind, wo die Nachhaltigkeit eventuell nicht eingehalten werden kann. Wir sehen das eigentlich gar nicht. Wir sehen, dass wir Batterien haben, die sehr lange halten und übrigens auch sehr gut in der Zweitnutzung geeignet sind. Das heißt wir geben unsere Akku-Packs zum Beispiel weiter zur privaten Solarstrom-Speicherung, sodass die Batterien eben ein zweites Leben bekommen.
Für stationäre Speicher, wo ich eben nicht diese schnelle Lade- und Entladefähigkeit brauche?
Tobias Griesmeier: Ganz genau. Was wir dadurch erreichen, ist, dass die aktuellen Modelle momentan bei ungefähr 40 Gramm CO2 pro Passagierkilometer sind. Wir sind dadurch drei bis viermal nachhaltiger als der PKW und übrigens auch nachhaltiger als der ÖPNV. Von daher gehören die Erzählungen von 2018/2019, E -Scooter würden nicht lange halten, seien schädlich für die Umwelt und nicht nachhaltig gedacht, Gott sei Dank der Vergangenheit an. Aber die Anbieter wie auch Hersteller haben hier ihre Arbeit geleistet.
Maryna, wie sicher sind E-Scooter?
Maryna Pobudzei: Wir haben tatsächlich Unfälle mit Fahrrädern und E-Scootern in München analysiert. Dabei wurde deutlich, dass sich in München Unfälle, also sowohl mit Fahrrädern als auch mit E-Scootern, auf den Hauptstraßen konzentrieren. Vor allem dort, wo sich viele Kreuzungen befinden und gemischte Nutzung vorhanden ist. E-Scooter-Unfälle ereignen sich überwiegend im Stadtzentrum, Fahrradunfälle hingegen verteilen sich tatsächlich gleichmäßig über die ganze Stadt. Bei milderem Wetter und vor allem im Sommer steigen die Unfallraten. Unfälle mit E-Scootern treten häufiger aber in den Abend- und Nachtstunden auf, Fahrradunfälle hingegen häufiger an Wochentagen, morgens und nachmittags. Das ist vermutlich verbunden mit der Nutzungshäufigkeit. Hinzu kommt, dass Fahrradfahrer im Durchschnitt älter sind als E-Scooter-Fahrer, also die Altersverteilung breiter ist. Dagegen ist der Anteil der alkoholisierten Fahrer, sowie Fluchtfälle bei E-Scooter-Nutzern höher als bei Fahrradfahrern. Wobei ich sagen muss, dass wir eine viel größere Datenbank an Fahrradunfällen hatten. Also wir hatten viel mehr Fahrradunfälle als E-Scooter -Unfälle. Aber wenn man prozentual rechnet, dann gab es bei E-Scooter-Fahrern größere Anteile von alkoholisierten Fahrten.
Tobias Griesmeier: Wir schauen natürlich auf das Thema Sicherheit auch sehr, sehr genau. Wir sehen, dass logischerweise die Unfälle in den letzten Jahren gestiegen sind. Wir hatten 2018 praktisch offiziell null E-Scooter auf deutschen Straßen. Jetzt sind es eine gute Million und natürlich gehen dann auch die Unfälle nach oben. Wir sehen aber, dass proportional die Unfälle mit der steigenden Flotte nach unten gehen. Also 2023 hatten wir beispielsweise über 40 Prozent weniger Unfälle als im Jahr zuvor in ganz Europa und auch die Unfälle mit schweren Verletzungen gehen deutlich nach unten. Von daher kann man schon sagen, dass Scooter genauso sicher sind wie auch Fahrräder und das wird uns ja auch durch Studien regelmäßig bewiesen. Was hier bei dem Thema ganz, ganz wichtig ist: Es muss natürlich dafür gesorgt werden, dass sichere Fahrzeuge vorhanden sind. Dies betrifft die Hersteller wie auch die Anbieter. Aber wir brauchen natürlich auch eine gute, durchgängige und vor allem sichere Infrastruktur. Das ist das A und O. Wir wissen ja bereits aus Studien aus dem Fahrradbereich, dass zum Beispiel die regelwidrige Nutzung von Fußwegen deutlich zurückgeht, sobald es sichere Radwege gibt. Von daher ist der Appell nur zu wiederholen und bleibt einfach wichtig, dass wir eine bauliche Trennung von Pkw-Fahrspuren, Rad- und Fußverkehr unbedingt benötigen. Hier ist es meines Erachtens auch wichtig, dass die Sharingbranche, wie auch Privatnutzerbranche, Wissenschaft und auch die Bürger selbst weiterhin beharrlich auf die Politik einwirken, dass wir sichere Verkehrswege bekommen. Denn nur mit sicheren Verkehrswegen schaffen wir auch eine Mobilitätswende. Wenn die Leute sich sicher fühlen und dann auch Spaß haben, solche Mobilitätsangebote zu nutzen.
Es ist wichtig, dass die Branche und die Bürger beharrlich auf die Politik einwirken, damit wir sichere Verkehrswege bekommen. Nur wenn sich die Leute auf den Verkehrswegen sicher fühlen und Spaß haben, solche Mobilitätsangebote zu nutzen, schaffen wir die Mobilitätswende.
Tobias Griesmeier
Head of Regulatory Affairs, TIER Mobility
Haben Kommunen auch eine Möglichkeit, um die Umweltbilanz, um die Nachhaltigkeit dieser Micro Mobility Lösungen zu steigern?
Tobias Griesmeier: Ich mache mir tatsächlich um das Thema Nachhaltigkeit weniger Sorgen. Das liegt ja zu einem großen Teil in der Hand der Anbieter und da tun wir alles Mögliche, dass unser Angebot möglichst nachhaltig funktioniert. Das funktioniert natürlich auch nur, wenn das Hand in Hand mit der Stadt einhergeht. Also wir müssen dann auch die Möglichkeit haben, uns zum Beispiel in den örtlichen ÖPNV zu integrieren. Das heißt, digitale Angebote müssen verknüpfbar sein, sodass dann auch dieser Mehrwert von Sharing, First/Last Mile und Verknüpfung mit anderen Mobilitätsträgern, funktioniert. Was mich eher umtreibt, sind zwei andere Themen.
Zum einen die Akzeptanz. Wir haben gerade über Infrastruktur, über Abstellflächen gesprochen. Wir sehen, dass hier viel passiert. In der Stadt München passiert sehr viel, Düsseldorf investiert stark in Mobilstationen für Sharing und ich glaube, dass ist eine sehr gute Sache und auch durchaus wünschenswert. Übrigens auch für diejenigen, die keine Sharing-Angebote nutzen, weil natürlich dadurch der öffentliche Raum aufgeräumt wird und Sharing-Angebote sichtbarer werden. Unser Ziel ist es, dass Sharing-Angebote so sichtbar und präsent im öffentlichen Raum wahrgenommen werden wie der öffentliche Nahverkehr. Ich weiß, wo jede Station für die U- oder S-Bahn ist. Genauso würde ich es mir auch für eine Sharing-Station wünschen. Das würde die Attraktivität und auch die Akzeptanz deutlich steigern.
Das zweite Thema, das mich sehr umtreibt, sind die öffentlichen Haushalte. Was wir momentan sehen: Es wird überall das Geld knapp. Das beginnt auf Bundesebene, auf Länderebene. Wir können meines Erachtens viele mutlose Politiker in diesen Tagen beobachten, die sich sehr schwertun, den Preis für ein Deutschlandticket in den nächsten Jahren aufrechtzuerhalten. Das finde ich extrem bedauerlich, weil es ein sehr schlechtes und negatives Zeichen für eine Verkehrswende setzt, für ein überaus erfolgreiches Produkt. Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass die kommunalen Haushalte enorm unter Druck stehen. Viele Städte müssen sparen und haben jetzt ein Haushaltsloch im Jahr 2024. Das wird sich 2025 nochmal verstärken und die Befürchtung ist dann schon im Raum, dass eben bei Themen wie Mobilität, Verkehrswende und Sharing-Angeboten gespart wird. Das heißt, dass beispielsweise Mobilstationen nicht mehr gebaut werden oder Radwege hinterfragt werden. Was wir außerdem aus Anbietersicht sehen, dass eben auch die Kostenschraube für die Anbieter nach oben gedreht wird, sprich höhere Gebühren für die Anbieter. Das passt eindeutig nicht zusammen. Auf der einen Seite gibt es Klimaschutzpläne und Verkehrsstrategien, die ganz deutlich mehr Sharing einfordern. Gleichzeitig werden dann aber die Kosten für die Anbieter erhöht, was wiederum zu gesteigerten Minutenpreisen für die Nutzer führt. Das passt hier nicht zusammen und sind tatsächlich meine größeren Sorgen als die Nachhaltigkeit.
Maryna, was müssen Kommunen und Städte für nachhaltige Lösungen tun?
Maryna Pobudzei: Wir merken, dass Anforderungen an die Haltbarkeit und Fahrbarkeit der Fahrzeuge auf jeden Fall wichtig sind. Ich denke, dieser Punkt muss auf jeden Fall in die Ausschreibungen rein. Es sollte gefordert werden, dass die Anbieter ein konkretes Konzept für das Recyclen der defekten E-Scooter haben und auch die Planung sollte eine Integration in das bestehende Verkehrskonzept vorsehen. Also zum Beispiel die Schaffung von Parkzonen für E-Scooter. Denn Gehwege müssen einfach freigehalten werden. Das wiederum steigert die Akzeptanz und die Menschen gewöhnen sich auch an diesen Fahrzeug-Typ. Kommunen können auch Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen unterstützen, welche die Bürger über die korrekte Nutzung, sowie die umweltfreundlichen und sicheren Praktiken im Umgang mit E-Scootern informieren. Es sollte also ein einheitliches Konzept sein. Vor 50 Jahren waren Fahrräder auch neu als Verkehrsangebot und an die Nutzung dieser Fahrzeuge haben sich die Menschen auch gewöhnt. Deshalb denke ich, dass dies auch die E-Scooter erwarten wird.
Das Interview führte Christoph Raithel, Teamleiter Event bei der Bayern Innovativ GmbH.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Länge der Audiodatei: 00:25:30 (hh:mm::ss)
E-Scooter: 2 Perspektiven auf 5 Jahre Straßenzulassung (17.07.2024)
Christoph Raithel spricht in dieser Episode mit Tobias Griesmeier, Head of Regulatory Affairs bei TIER Mobility, und Maryna Pobudzei, Researcher & Project Lead - Shared Micromobility im Projekt MORE Sharing für die Universität der Bundeswehr München. Gemeinsam blicken sie zurück auf 5 Jahre Straßenzulassung für E-Scooter, wie Elektroroller urbane Mobilität bisher flexibler gemacht haben und welche Rolle sie unter anderem für Sicherheit und Umweltverträglichkeit spielen.
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