Bidirektionales Laden: Ladetechnik der Zukunft?

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir mit der zunehmenden Umstellung auf regenerative Energien dringend mehr Speicherkapazitäten brauchen. Warum nutzen wir also nicht eFahrzeuge – die oft 23 Stunden am Tag ungenutzt herumstehen – als mobilen Stromspeicher? Welche Chancen dabei das bidirektionale Laden bietet, erfahren Sie im nachfolgenden Interview mit Leo Ladenhauf (VISPIRON SYSTEMS), Martin Uhrig (Lechwerke AG) sowie den Bayern Innovativ-Experten Dr. Guido Weißmann und Prof. Dr.-Ing. habil. Oliver Mayer.

Bidirektionales Laden: Ladetechnik der Zukunft?


Herr Ladenhauf, was genau versteht man unter bidirektionalem Laden?

Leo Ladenhauf: Beim bidirektionalen Laden kann man das Fahrzeug auch wieder entladen. Der Strom kann also der Fahrzeugbatterie wieder entnommen werden und wird dann zum Beispiel über die Wallbox zurück ins Haus oder ins Netz gespeist. Ein eFahrzeug transportiert dann nicht nur mehr Personen oder Lasten, sondern wird nun auch zum mobilen Energiespeicher.

Guido, wie läuft das Laden von eAutos genau ab?

Dr. Guido Weißmann: Anders als an der Tankstelle gibt es beim Laden nicht den einen Ladevorgang, der immer gleich abläuft: hinfahren-laden-wegfahren. Je nach Ladebedarf und Standzeit kann man drei Ladeverhalten unterscheiden:

  1. Schnellladen: Möglichst schnell vollladen, z. B. bei langen Fahrstrecken an Autobahnen.
  2. Zwischendurchladen: Bei passender Gelegenheit nachladen, z. B. während man einkauft oder spazieren geht.
  3. Alltagsladen: Das regelmäßige Vollladen immer dann, wenn das Fahrzeug ohnehin lange Zeit steht, z. B. über Nacht oder während der Arbeit.

In allen drei Fällen werden heute vorzugsweise unidirektionale Ladesäulen verbaut. Das heißt, dass man die Fahrzeugbatterie nur laden kann, aber keinen Strom zurückbekommt.

Warum ist diese Unterscheidung bzgl. Ladeverhalten so wichtig?

Dr. Guido Weißmann: Weil davon mögliche Ladekonzepte abhängen. Beim Schnellladen will ich einfach möglichst schnell möglichst viel Strom in mein Fahrzeug bekommen. Da ist wenig Raum für verschiedene Ladekonzepte. Dafür bin ich aber bereit, etwas mehr zu zahlen.

Beim Zwischendurchladen könnte ich schon Interesse an intelligenten Ladelösungen haben, also abhängig von der Netzsituation mehr oder weniger Ladestrom.

Das größte Potenzial für intelligente Ladelösungen sehe ich aber im Alltagsladen, weil mein Elektrofahrzeug meist deutlich länger steht als das Vollladen bräuchte. In der Zwischenzeit könnte dann mein eFahrzeug durchaus intelligent oder auch bidirektional geladen werden, abhängig von aktuellen Stromkosten oder Netzbelastungen. Solange das Fahrzeug am nächsten Tag ausreichend voll ist und das Ganze für mich wirtschaftlich interessant ist.

Herr Ladenhauf, stimmen Sie zu?

Leo Ladenhauf: Ja, bidirektionales Laden ist insbesondere für das Alltagsladen interessant, also im Privatbereich oder bei Firmenflotten, aktuell jedoch nicht beim öffentlichen Laden. Ziel ist es, die Standzeiten von eFahrzeugen sinnvoll zu nutzen, während der Arbeitszeit im Büro bzw. zu Hause oder über Nacht, um die Fahrzeuge mit Strom aus erneuerbaren Energien zu laden.

Das setzt intelligente Technik und die Zusammenarbeit verschiedenster Akteure voraus, um die vielen Fahrzeuge und das Netz so zu steuern, dass sich die mobilen eFahrzeugspeicher sinnvoll in die Stromversorgung integrieren.

Was bedeutet dieses Konzept für einen Energieversorger, Herr Uhrig?

Martin Uhrig: Für einen Energieversorger ist das Thema zugleich spannend und herausfordernd. Bisher haben wir regelbare Kraftwerke gehabt, die man so steuern konnte, dass sie den Strom produziert haben, wenn er auf der Verbrauchsseite benötigt wurde. Mit der gestiegenen Erzeugung von regenerativem Strom hat sich das Bild deutlich geändert. Regenerativer Strom ist sehr viel schwerer vorhersagbar. Wir sind vom Wetter abhängig. Das heißt, einen Freiheitsgrad mehr, den es zu kontrollieren gilt. Um die zeitliche Differenz zwischen beispielsweise PV-Stromerzeugung und Stromverbrauch auszugleichen, werden Stromspeicher benötigt. Üblicherweise sind dafür stationäre Speicher angedacht. Wir wissen, wo die stehen, und wie deren Verfügbarkeit ist. Mit den eAutos als mobile Speicher kommt ein weiterer Freiheitsgrad hinzu. Das heißt, die Fahrzeuge bewegen sich. Tagsüber habe ich vielleicht an einem Firmenparkplatz viele Autos und damit viel Batteriespeicherkapazität. Abends sind diese Autos in Wohnvierteln verteilt. Und ich weiß nicht genau, wie gut die Fahrzeuge geladen sind. Viele neue Freiheitsgrade, die zu berücksichtigen sind.

Das Ziel des SCALE-Projekts ist die Harmonisierung des bidirektionalen Ladens ins Europa. Dafür erproben wir Anwendungen in der Praxis.

Martin Uhrig Referent Strategie Geschäftsfeld Netze, Lechwerke AG


Herr Ladenhauf, gibt es hierfür schon Lösungsansätze?

Leo Ladenhauf: Wir schauen uns derzeit verschiedenste Use-Cases an, in denen Elektrofahrzeuge ins Netz integriert werden. Hier geht es um die Simulation von Energiesystemen und die Entwicklung von Algorithmen, um solche dynamischen Prozesse automatisch ablaufen lassen zu können. Wir arbeiten hier auch mit Netzbetreibern eng zusammen. Dazu haben wir ein Ladelabor aufgebaut, in dem mit echten Elektrofahrzeugen an realen Ladesäulen untersucht wird, wie das bidirektionale Laden, also Aufladen und Entladen der Batterie, innerhalb gewisser Parameter erfolgen kann. Dabei bilden wir die Wirkketten in Einfamilienhäusern und Gewerbebetrieben realitätsnah nach, um Auswirkungen auf Fahrzeugsystem und Stromnetze zu testen. Ein Beispiel: In den Tagstunden wird Energie aus einer simulierten PV-Anlage ins Fahrzeug gespeichert und ab den Abendstunden an Verbraucher im Haus oder Stromnetz abgegeben. Solche Tests sind notwendig, damit das System später beim Endkunden fehlerfrei läuft.

Das klingt spannend. Aber machen da die eFahrzeugbesitzer mit?

Dr. Guido Weißmann: Die Angst, dass man im Notfall mit leeren Batterien dasteht, ist so alt wie die Elektromobilität selbst. Solche Argumente gab es also schon vor bidirektionalen Ladekonzepten. Aber diese Angst ist aus meiner Sicht unbegründet. Denn ein unkontrollierter Zugriff auf meine Fahrzeugbatterie ist gar nicht vorgesehen. Ich werde immer „Herr meiner Batterie“ bleiben und Mindestladezustände angeben können, die nicht unterschritten werden. Das gilt für das eigene Hausenergiesystem ebenso, wie für den Zugriff durch Dritte. Dazu kommt, dass meine Batterie als eine Art Puffer auch ohne nennenswerte Stromentnahme schon zur Netzstabilisierung beitragen kann.

Andererseits kann ich aber Geld verdienen, wenn ich mein Fahrzeug im begrenzten Umfang als Speicher im Netz zur Verfügung stelle. Ich werde also selbst steuern können, wie groß der bidirektionale Anteil ist.

Aber die Fahrzeughersteller erlauben wegen der Gewährleistung ein Entladen der Batterie nur in einem begrenzten Umfang. Und geeignete Geschäftsmodelle müssen auch erst noch entwickelt werden, damit sich das bidirektionale Laden für mich rentiert.

Die Grundlagen dafür schafft das EU-Projekt SCALE. Herr Uhrig, welche Ziele verfolgt das Projekt?

Martin Uhrig: SCALE steht für Smart Charging ALignment for Europe. Das Spannende an diesem Projekt ist die Kombination aus theoretischer Forschung und praktischen Anwendungsfällen für das bidirektionale Laden. Das Ganze geschieht nicht nur in Deutschland sondern auch in Ungarn, den Niederlanden, Frankreich und Schweden. Das gemeinsame Ziel ist, sowohl die Technologie als auch die Hindernisse für einen europaweiten Ausbau der Elektromobilität zu identifizieren und damit den Weg zu ebnen, eine in ganz Europa funktionierende Lösung zu haben. Dazu werden verschiedene Use-Cases betrachtet und ausprobiert. Das Ziel ist es, sich auf europäischer Ebene zu synchronisieren, und ein System zu definieren, damit das bidirektionale Laden in allen europäischen Ländern funktioniert.

Wir sind Teil des SCALE-Projekts, um insbesondere KMU über den Status quo des bidirektionalen Ladens im internationalen Wettbewerb zu informieren.

Prof. Dr.-Ing. habil. Oliver Mayer Leitung Energie & Bau, Bayern Innovativ GmbH


Herr Ladenhauf, wie sehen Sie die Chance, das zu erreichen?

Leo Ladenhauf: Aus technischer Sicht sind wir sehr zuversichtlich, dass das funktioniert.

Guido, wie sieht Deine Prognose bzgl. bidirektionalem Laden aus?

Dr. Guido Weißmann: Insbesondere im Privatbereich gibt es schon heute großes Interesse am bidirektionalen Laden. Wenn die Geschäftsmodelle passen und die Nutzenden etwas davon haben, hat diese Technologie aus meiner Sicht sehr gute Chancen.

Herr Uhrig, teilen Sie diese Einschätzung?

Martin Uhrig: Ja, auch wir sehen die Notwendigkeit und vor allem die großen Chancen und sind deswegen im SCALE-Projekt mit dabei.

Wie können KMU von dem SCALE-Projekt profitieren, Oliver?

Prof. Oliver Mayer: KMU sind Zulieferer für die V2G-Technologie und bieten oftmals solche Ladesäulen an. Hier geht es darum, KMU frühzeitig einzubinden, was für Standards und Regulatorien auf sie zukommen werden. Mit den LEW werden auch deutsche Use-Cases eingebracht, um unsere Position im SCALE-Projekt zu vertreten. Und als Bayern Innovativ ist es auch unser Job, diese Interessen einzubringen.

Das hört sich nach einer Erhöhung der Bürokratie an?

Martin Uhrig: Ja und nein. Zum einen ist Regulatorik und Standardisierung wichtig, damit man Sicherheitsstandards einhält und damit es auch möglich ist, über Ländergrenzen hinweg bidirektionales Laden zu ermöglichen. Auf der anderen Seite entstehen dadurch natürlich auch Rahmen für neue Geschäftsmodelle, die man europaweit anbieten kann. Hier werden Möglichkeiten eröffnet, die ohne einen gemeinsam definierten Rahmen viel schwerer zu realisieren sind.

Was empfiehlst Du KMU konkret, Oliver?

Prof. Oliver Mayer: KMU, die Interesse haben an dieser Technologie, sollten sich im Bereich Mobilität oder Energie bei der Bayern Innovativ melden. Wir werden sie dann informiert halten. Der Vorteil liegt darin, dass wir die Ergebnisse kompakt und konzentriert weiterleiten, damit die KMU schnell und effektiv agieren können.


Das Interview führte Christoph Raithel, Teamleiter Event bei der Bayern Innovativ GmbH.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Wie wird bidirektionales Laden unsere Zukunft verändern?

Haben Sie sich auch schon mal gefragt, warum wir eFahrzeuge – die oft 23 Stunden am Tag ungenutzt herumstehen – nicht als mobilen Stromspeicher nutzen? Welche Chancen dabei bidirektionales Laden bietet, erfahren Sie von Leo Ladenhauf (VISPIRON SYSTEMS), Martin Uhrig (Lechwerke LEW) und den Bayern Innovativ-Experten Prof. Oliver Mayer und Dr. Guido Weißmann .

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Prof. Dr.-Ing. habil. Oliver Mayer
Dr. Guido Weißmann

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