Autonomes Fahren: Die Zukunft der Mobilität

Autonomes Fahren ist eine wegweisende Zukunftstechnologie im Verkehrswesen, die in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit von Fahrzeugen, weitgehend eigenständig und ohne menschliches Eingreifen sämtliche Herausforderungen im Straßenverkehr zu bewältigen. Die Technologie verspricht nicht nur einen effizienteren Verkehr, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten der Mobilität. Welche Level es beim autonomen Fahren gibt, welche davon heute schon zum Einsatz kommen und warum Unternehmen den Trend hinsichtlich sich neu entwickelnder Geschäftsbereiche wachsam beobachten sollten, erläutern Marcus Zwick, CEO von INYO, und Nicolai Harnisch, Leiter Vernetzte Mobilität bei Bayern Innovativ im nachfolgenden Interview.

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In fünf Leveln zum selbstfahrenden Auto


Nicolai, wie viele Level des autonomen Fahrens gibt es insgesamt?

Nicolai Harnisch: Es gibt insgesamt fünf Level bzw. sechs, wenn das „Level Null”, also überhaupt keine Automatisierung, mit einbezogen wird. Level eins ist das assistierte Fahren, wie zum Beispiel die Nutzung eines Tempomats. Als Merksatz gilt: Meine Füße sind frei, also „Feet off“.
Level zwei ist das teil-automatisierte Fahren, beispielsweise unter Nutzung eines Spurhalteassistenten. Das heißt, da brauche ich im Prinzip meine Hände nicht mehr mit einzubeziehen. Als Merksatz gilt: „Hands off“.
Level drei ist dann schon das hochautomatisierte Fahren, wo die Verantwortung langsam vom Fahrer auf das Fahrzeug übergeht. Da ist das Fahrzeug in der Lage, unter bestimmten Bedingungen die Kontrolle selbst zu übernehmen. Es wird aber immer der Fahrer als Rückfallebene benötigt. Das gibt es bereits in bestimmten Modellen von Mercedes und BMW, zum Beispiel den Staupiloten bis 60 km/h. Da könnte theoretisch auch die Aufmerksamkeit vom Verkehrsgeschehen abgewendet werden, wenn das Assistenzsystem die Kontrolle übernimmt. Als Merksatz gilt: „Eyes off“.

Marcus, Du entwickelst in Deiner Firma elektrifizierte Leichtbaufahrzeuge. Welchem Level entsprechen diese?

Marcus Zwick: Unsere elektrifizierten Leichtbaufahrzeuge sind kleine Robo-Taxis, die die erste und letzte Meile überbrücken sollen und nur in einem bestimmten Gebiet fahren. Da sind die dann zugelassen, da kennen wir alles, und da dürfen wir dann entsprechend automatisiert fahren. Ähnlich wie eine fahrerlose U-Bahn, nur eben auf der Straße. Dies entspricht Level vier. Diese kleinen automatisierten Fahrzeuge sind eine hervorragende Ergänzung zum bestehenden öffentlichen Verkehr. Also, ich hole Dich zum Beispiel von zu Hause ab und bringe Dich dann zur fahrerlosen U-Bahn in Nürnberg und dort steigst Du dann ein und wirst entsprechend weiterbefördert.
Und ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Denn ich bin der Meinung, dass bei einem Funktionieren unseres Systemansatzes das Auto überhaupt nicht mehr notwendig ist. Denn wir helfen Menschen, die noch keinen Führerschein haben, die keinen Führerschein mehr haben oder die vorübergehend nicht fahren können, mobil zu bleiben. Dafür ist unser Fahrzeug da.

Wie sicher ist autonomes Fahren derzeit in Deutschland und ist es überhaupt erlaubt?

Marcus Zwick: Ja, das ist erlaubt. Es gibt auch schon seit Jahren Testfelder. Es müssen entsprechende Auflagen erfüllt werden, das heißt von der TÜV/DEKRA-Zertifizierung bis hin zur Anmeldung beim Kraftfahrtbundesamt müssen entsprechende Schritte durchlaufen werden. Das ist schon ein aufwendiger Prozess und wie das in Deutschland eben gemacht wird, sind wir da sehr, sehr gut organisiert, was natürlich auch einen entsprechenden Aufwand für die Unternehmen bedeutet. Aber dadurch ist auch gewährleistet, dass diese Demonstrations- oder Testfelder nach wie vor sehr sicher sind. Mir persönlich sind auch keine Unfälle oder Ähnliches bekannt.

Wir befinden uns beim autonomen Fahren weltweit in einer technischen Beweisführung, dass die Technologie zu 100 % zuverlässig funktioniert. Denn der Technologie wird im Gegensatz zum Menschen kein Fehler verziehen.

Marcus ZwickCEO, INYO Mobility GmbH


Nicolai, gibt es bereits Use Cases in Kommunen?

Nicolai Harnisch: Ja, einige. Vor allem tatsächlich auch bei uns in Bayern. Der erste war in Bad Birnbach. Es gibt auch einen Betrieb in Oberfranken im Rahmen des SMO: Shuttle Modellregion Oberfranken Projekts. Tatsächlich ist der Landkreis Kelheim mit seinen Projekten „KelRide“ und „SAFESTREAM“ das größte zusammenhängende Streckengebiet für automatisiertes Fahren in Europa. Manch einer würde nicht vermuten, dass Kelheim in der Mobilitätsbranche eine solche Referenz ist. Dort laufen schon seit einiger Zeit Projekte, das sind dann in der Regel Pilot- bzw. Forschungsprojekte, in denen kommunale Partner mit Technologiepartnern oder mit Forschungspartnern zusammenarbeiten. Was es noch nicht gibt, ist tatsächlich ein Regelbetrieb.

Wie hoch ist die Akzeptanz auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger?

Nicolai Harnisch: Also, die meisten dieser Projekte machen irgendeine Form von Begleitforschung. Diese zeigt, dass der Mehrwert der Technologie schnell erkennbar wird, wenn erklärt wird, wie sie funktioniert und insbesondere, wie sie Mobilität in wirtschaftlich benachteiligten Gebieten ermöglicht oder Menschen unterstützt, die aus verschiedenen Gründen kein Auto besitzen oder fahren können, aber dennoch mobil sein wollen. Auch Umfragen, z. B. von Bitkom, zeigen, dass die meisten Menschen erst einmal der Technik zugewandt sind.
Ich habe neulich auf einer Konferenz auch den schönen Vergleich gehört, dass es vor 100-150 Jahren auch nicht vorstellbar war, dass Aufzüge ohne Operator bedienbar sind. Heute redet niemand mehr darüber oder würde sich die Frage stellen, ob der Aufzug funktioniert oder nicht. Ich glaube, was am Ende des Tages wirklich wichtig ist, ist die Servicequalität. Im Moment fahren wir in diesen Projekten mit sehr geringen Geschwindigkeiten, so dass das aktuell noch keine alternative Mobilitätsoption ist. Wenn wir irgendwann in eine Situation kommen, wo die Geschwindigkeiten und die Verlässlichkeit des Services so hoch sind, dass es wirklich einen Mehrwert für die Menschen erzeugt, dann werden sie automatisch dazu übergehen, diesen Service auch zu nutzen. Aber am Ende scheitert es an der Frage der Servicequalität. Ist das eine attraktive Option? Ist es vielleicht sogar eine Alternative zu meinem Auto? Meiner Meinung nach ist das der Schlüssel.

Marcus Zwick: Die Projekte, die jetzt laufen, sind zum Teil schon zwei, drei, vier Jahre alt. Und wer die Förderlandschaft kennt, der weiß, dass solche Förderprojekte auch zwei bis drei Jahre Vorlauf haben. Das heißt, wir haben einen gewissen Stand, wo es eigentlich darum geht, immer noch so eine Art technische Beweisführung durchzuführen, ob und wie automatisiertes Fahren am besten funktioniert. Jetzt gehen wir mal davon aus, dass das eleganter funktioniert. Zum Beispiel in San Francisco, wo fahrerlose Taxis von „Waymo“ und „Cruise“ bereits einen Regelbetrieb durchführen. Da ist tatsächlich kein Sicherheitsfahrer mehr in den Fahrzeugen. Was die Kollegen da gerne verschweigen, ist, dass jedes Fahrzeug von mindestens ein bis zwei Personen rund um die Uhr in einer Zentrale überwacht wird. Also, ganz ohne Überwachung wird das noch nicht gemacht. Aber dieser Regelbetrieb, der wird schon akzeptiert und die Leute haben sehr schnell Vertrauen in die Technik. Das heißt, wenn du zwei, drei Minuten mit so einem Fahrzeug fährst, dann stellt sich automatisch eine Sicherheit ein, und nach der zweiten Fahrt verstehst du die Sicherheitsdiskussion, die wir jetzt hier führen, überhaupt nicht mehr.
Es gibt Kollegen, die in China leben und solche Dienste regelmäßig nutzen, die sagen mittlerweile, „Lass mich in Ruhe, das funktioniert einfach”. Und trotzdem sind wir immer noch, und zwar weltweit, nicht nur in Deutschland, in dieser technischen Beweisführung, dass die Technologie zu 100 Prozent zuverlässig funktioniert. Denn dieser Technologie, dem automatisierten Fahrsystem, wird nicht verziehen, wenn es einen Fehler macht. Dem Menschen wird verziehen, wenn er einen Fehler macht, aber nicht der Automatisierungstechnik.

Wenn man den Bürgerinnen und Bürgern den Mehrwert der Technologie des autonomen Fahrens erklärt, ist die Akzeptanz sehr hoch. Das zeigen auch mehrere Studien.

Nicolai HarnischLeitung Vernetzte Mobilität, Bayern Innovativ GmbH


Wie attraktiv sind diese Möglichkeiten für Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell anpassen müssen oder am autonomen Fahren interessiert sind?

Nicolai Harnisch: Worüber wir vielleicht noch nicht so viel gesprochen haben, ist, was genau dieses Level vier bedeutet. Zum einen ist damit gemeint, dass ich in einem festgelegten Betriebsgebiet tätig bin. Der zweite Aspekt, der hier zum Tragen kommt, ist die Frage der technischen Aufsicht. Das heißt, ich kann einen Level-vier-Service nur betreiben, wenn ich gleichzeitig so etwas wie einen Leitstand installiert habe, der jederzeit Zugriff auf die Fahrzeuge hat bzw. die Steuerung übernehmen kann, wenn ein Fahrzeug nicht mehr weiterweiß. Was ich damit sagen will, ist, dass in diesem Bereich ganz neue Ökosysteme entstehen, weil es zum Beispiel noch nicht endgültig definiert ist, wie sieht so ein Arbeitsplatz dieser technischen Aufsicht aus? Wie sieht eine Busstation der Zukunft aus? Wie funktioniert das Lademanagement? Wie funktioniert die Interaktion mit dem Nutzer? Also, da ist noch vieles offen.

Markus, hast Du Tipps für Unternehmen, die sagen, das Thema interessiert mich?

Marcus Zwick: Das Feld ist so groß, wenn wir in die Zukunft schauen. Es ist schon die Rede davon, dass in einer sehr fernen Zukunft die Fahrzeuge eine eigene Identität haben und sich selbst organisieren. Das wird noch sehr, sehr lange dauern. Bis dahin gibt es in der Tat viele Geschäftsmöglichkeiten, die sich einfach aus der Notwendigkeit der Automatisierung ergeben. Das fängt an bei den notwendigen Kartendienstleistungen, also der Erstellung von hochauflösenden Karten, die dann der Automatisierungstechnik zur Verfügung gestellt werden. Dann haben wir die ganze Telekommunikationsseite. Dann haben wir das, was Nicolai angesprochen hat, diese Flottenmanagementebene. Jedes Fahrzeug oder jede Flotte muss entsprechend koordiniert und kontrolliert werden und da wird der Mensch noch eine ganze Weile nicht rausgebracht werden. Der Service an den Fahrzeugen muss auch gemacht werden. Das heißt, diese Automatisierung, die führt nicht unbedingt zu weniger Menschen im Mobilitätskreislauf.
Ich glaube, dass durch die Automatisierungstechnik wesentlich bessere und flexiblere Transportleistungen und auch bezahlbare Transportleistungen realisiert werden können. Nichtsdestotrotz, auch wenn wir hier von Automatisierung sprechen, braucht es eine sehr große, ich sage mal, menschliche Unterstützung, damit dieses System überhaupt funktioniert. Und der Mensch, der ja auch im Fahrzeug sitzt, der will auch entsprechend beschäftigt werden, weil er sich vielleicht langweilt. Das heißt, dieses ganze Marketing und sonstige Anbindungstechnik, das wird jetzt noch viel mehr Einzug halten in den Transport. Und es gibt Bereiche, von denen ich selbst noch gar nicht weiß, was da alles gemacht werden kann. Das Thema künstliche Intelligenz kommt da jetzt auch noch viel stärker rein. Eine unfassbare Bewegung, was da passiert!

Wann wird autonomes Fahren zur Norm?

Nicolai Harnisch: Also, um noch einmal auf die Levels zurückzukommen: Vieles von dem, was wir jetzt unter Level zwei, Level drei, teilweise auch Level vier diskutiert haben, gibt es schon. Was im Moment „out of scope“ ist, worüber, ehrlich gesagt, niemand ernsthaft redet, das ist Level fünf, also die Vorstellung, ich steige morgen ins Auto und fahre, wohin ich will, zum Gardasee oder nach Neapel. Das ist aktuell out of scope, weil wir immer von diesem bestimmten Betriebsgebieten sprechen. Wann das sozusagen skaliert, da sind wir, denke ich, nicht so weit weg. Ich glaube, wir sprechen über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren, bis wir Level-vier-Services in größerem Umfang sehen.

Marcus Zwick: Ich hätte es genau so formuliert. Level fünf fahren, das dauert noch ein bisschen. Das beschriebene Level vier, es gibt eine Zulassung und gefahren wird nur in einem bestimmten bekannten Gebiet unter bestimmten Bedingungen, das kann sehr schnell gehen. Ich würde behaupten, das geht auch jetzt schon, ist aber langweilig, um das etwas zu provozieren, weil dann wirst du langsam fahren, und dann sind wir wieder anfangs bei dem, was der Nicolai gesagt hat: Es muss auch ein entsprechender Service dargestellt werden. Und das heißt beim automatisierten Fahren vor allem auch Geschwindigkeit. In diesen kleineren, begrenzten Bereichen muss ich auch nicht mit 70 oder 100 Stundenkilometern fahren, da reicht eine Geschwindigkeit von 30 bis 50 Kilometer pro Stunde. Dann bin ich schon mehr als doppelt so schnell wie die Durchschnittsgeschwindigkeit, die in einer normalen deutschen Großstadt herrscht. Das heißt, ich glaube, technisch haben wir das schon im Griff. Aber wie gesagt, wir sind noch in der Beweisführung, dass das auch immer zu 100 Prozent funktioniert.

Nicolai Harnisch: Wenn ich ergänzen darf, weil das jetzt so klingt, dass der Level-fünf-Traum unerreichbar ist. Ich glaube, dass vieles von dem, was wir am Anfang diskutiert haben, also diese positiven Effekte, die das Ganze haben wird, auf die Integration neuer Nutzergruppen, auch ein günstigeres Preisangebot machen zu können oder die Wirtschaftlichkeit auch im ÖPNV zu gewährleisten, das können wir alles mit Level vier erreichen. Wir müssen den Übergang von diesem Pilotbetrieb in den Regelbetrieb finden. Eine gewisse Industrialisierung, die dann auch mit den Fahrzeugen einhergehen muss, um auch die Preisspanne oder den Preisdruck senken zu können. Aber viele positive Effekte werden wir dann schon mit Level vier abrufen können. Dafür brauchen wir Level fünf nicht.


Das Interview führte Dr. Tanja Jovanović, Leitung Marketing und Innovationsmanagement, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Bayern Innovativ GmbH.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Autonomes Fahren: In 5 Leveln zur Zukunft der Mobilität

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie schnell und entspannt mit autonomen Shuttles zur Arbeit kommen. Klingt nach Zukunftsmusik? Vielleicht nicht mehr lange. Erfahren Sie mehr im Gespräch mit Marcus Zwick (CEO der INYO Mobility GmbH) und Bayern Innovativs Mobilitätsexperte Nicolai Harnisch.

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Nicolai Harnisch

Moderation

Dr. Tanja Jovanovic

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