Trends auf dem Radar: Kultur- und Kreativwirtschaft
Die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) bewegt sich in einem dynamischen Umfeld. Entwicklungen in den Bereichen Technologie, Ökologie, Ökonomie, Gesellschaft und Politik schaffen einen ewig neuen Wertschöpfungskontext und beeinflussen latent oder konkret die kultur- und kreativunternehmerische Praxis. Daher gilt es, relevante Veränderungen frühzeitig aufzuspüren, einzuordnen und so Gestaltungsräume für das eigene (unternehmerische) Handeln zu erschließen. Vor diesem Hintergrund wurde erstmalig und unter Einbeziehung der bayerischen Kultur- und Kreativschaffenden eine umfangreiche und gewichtete Trendsammlung erstellt, die Übersicht schaffen und als nützliche Orientierungsquelle bei der Handhabung von Trends funktionieren soll.
Das Feld der Trendforschung ist in Deutschland ein vergleichsweise junges und da, wo es sich boulevardesk abseits der seriösen Wissenschaft etabliert, nicht frei von Kritik.1 Triviale bis falsche Befunde nähren Zweifel an ihrer Tragfähigkeit. Der Trendbegriff selbst wird dabei häufig unscharf verwendet.
Trends beschreiben zeitliche wahrnehmbare Muster in der Entwicklung eines bestimmten Beobachtungsgegenstands, und zwar hinsichtlich ausgewählter Merkmale.2 Sie beziehen sich auf „reale Phänomene […], existier[en als solche aber nicht] in der Welt“.3 Sie sind also das Ergebnis analytischer Verdichtung. Ihr zeitlicher Bezugspunkt liegt dabei nicht notwendigerweise in der Zukunft („projektive Trends“), sondern kann ebenso in der Vergangenheit oder Gegenwart gesetzt werden.
Der Trendradar KKW wurde im Rahmen des 3. Bayerischen Kultur- und Kreativwirtschaftsberichts veröffentlicht. Staatsminister Hubert Aiwanger persönlich präsentierte den Bericht am 21.06.2024 der Öffentlichkeit.
In diesem kritischen Bewusstsein ist der erste Trendradar für die bayerische Kultur- und Kreativwirtschaft erstellt worden. Bei der vorliegenden Erhebung handelt es sich ausdrücklich nicht um Trendforschung, weder im wissenschaftlichen noch populärwissenschaftlichen Sinne, sondern ein initiatives Trendmonitoring.4
Ziel war es, entsprechend der Logik eines Radars, das Umfeld der Branche großflächig abzutasten, relevante Entwicklungen zu erkennen und zu (ver)orten. Aufgrund des gewählten Suchfeldes und Aspekten der Positionalität bildet die vorliegende Arbeit nur einzelne Wirklichkeitsausschnitte ab und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Umsetzung des ersten Trendradars erfolgte in mehreren Schritten. Zunächst wurde mithilfe der sogenannten STEEP-Kategorisierung ein Suchfeld aufgespannt. Zu den STEEP-Kategorien zählen die Bereiche Soziokultur, Technologie, Ökonomie, Ökologie und Politik/Recht. Innerhalb dieses Suchfeldes wurden dann in einem heuristischen Verfahren die gewählten Kategorien inhaltlich angereichert. Hierzu erfolgte eine umfassende, KI-gestützte Sichtung von Primärquellen (Studien, Positionspapiere, (online) Zeitungsartikel etc.), aus denen heraus sich Entwicklungen ableiten ließen, die vorläufig als besonders umfassende Trends und darin eingeschlossene Sub-Trends erkennbar wurden. Es folgten Schritte der händischen Quellenprüfung und Plausibilisierung sowie der weiteren inhaltlichen Verdichtung, Aufbereitung und Konsolidierung der Trends. Im Ergebnis umfasste die Sammlung 36 Themen, die es hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Branche durch die Akteurinnen und Akteure zu bewerten galt.
Dazu wurden sie operationalisiert und in ein entsprechendes Erhebungstool übersetzt, das vier Bewertungskriterien umfasste: Einfluss: Wie hoch ist der Einfluss des Trends auf die Kultur- und Kreativwirtschaft? Durchdringungsgeschwindigkeit: Wie schnell wird sich der Trend in der KKW etabliert haben? Transformationsgrad: In welchem Ausmaß verändert der Trend die KKW? Potenzial: Wie hoch ist das wirtschaftliche Potenzial dieses Trends für die KKW?
Die eigentliche Datensammlung erfolgte dann über einen Zeitraum von sechs Wochen, von Mitte Oktober bis Ende November 2023, und generierte 120 Rückläufe bei insgesamt 260 Website-Besuchen. Die Ergebnisse der Erhebung wurden abschließend in einem interaktiven Trendradar, der „Digitalen Innovationsplattform (DIP)“ der Bayern Innovativ GmbH, aufbereitet (s. Abb. 28) und werden im Folgenden zusammengefasst. Die DIP legt die Bewertungskategorien und
-kriterien, wie oben vorgestellt, übereinander und verdichtet so die Informationen der Trendbewertung zu einem Gesamtbild.
Die verschiedenen Ebenen des Radars geben dabei Aufschluss über den Einfluss der jeweiligen Trends, der vom Kreisinneren nach außen abnimmt. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Trends durchsetzen, wird durch die Farbgebung im Radar verdeutlicht (pink 3 – 5 Jahre, weiß 6 – 10 Jahre), während das Marktpotenzial durch den Füllgrad der entsprechenden Kreise veranschaulicht wird. Der Transformationsgrad wiederum lässt sich anhand der Größe der Kugeln ablesen.
Auswertung der Ergebnisse
Auffallend ist zunächst einmal, dass in keiner der Bewertungskategorien maximale Ausprägungen festzustellen sind. Der Einfluss der Trends liegt im Bereich von hoch bis mäßig, die Durchdringungsgeschwindigkeit zwischen 3 – 5 bzw. 6 – 10 Jahren, das Marktpotenzial zwischen hoch und mäßig und auch der Transformationsgrad bewegt sich zwischen grundlegen-den und mäßigen Veränderungen. Es ist anzunehmen, dass sich aufgrund des Umfangs der Umfrage eine Antworttendenz ausgebildet hat, die zur Mitte neigt („Satisficing“) und so den kognitiven Aufwand für die Befragten reduziert. Zu berücksichtigen ist gleichwohl, dass Extremkategorien von Ratingskalen, insbesondere im Kontext von webbasierten Umfragen, ohnehin selten gewählt werden.5
Sechs Teilmärkte der Kultur- und Kreativwirtschaft waren im Rahmen der Erhebung vergleichsweise stark vertreten: Design, Musik, Buch, Bildende Kunst, Darstellende Kunst sowie Software/Games. Die Bewertungen insgesamt haben drei prioritäre Trendkategorien entstehen lassen, die sich wie folgt aufschlüsseln:
Top-Trends Einfluss hoch, Marktpotenzial hoch, Durchdringungsgeschwindigkeit 3 – 5 Jahre, Transformationsgrad grundlegend
Starke Trends Einfluss hoch, Marktpotenzial hoch, Durchdringungsgeschwindigkeit 3 – 5 Jahre, Transformationsgrad mäßig
Relevante Trends Einfluss mäßig, Marktpotenzial hoch, Durchdringungsgeschwindigkeit 3 – 5 Jahre, Transformationsgrad mäßig 35
Top-Trends in der Kultur- und Kreativwirtschaft
Die Top-Trends sind in drei Bewertungskategorien zu finden: Technologie, Ökologie und Ökonomie. Die größte Häufung an Top-Trends wiederum liegt im Bereich der Ökonomie. Sie lassen erkennen, welche Themen als besonders relevant für die Branche und damit bearbeitungswürdig eingestuft werden. Hierzu zählen die Fachkräftesicherung, die Ausbildung hybrider Kompetenzen, die Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle, digitale Vermarktung, aber auch die Förderung des beruflichen Wohlbefindens. Die Kultur- und Kreativwirtschaft er-scheint hier im Schatten der Coronapandemie und stetig voranschreitenden Digitalisierung als Querschnitt gesamtwirtschaftlicher Herausforderungen. Die Digitalisierung durchbricht etablierte Formen des Arbeitens, Produzierens (gemeint ist gesamthaft der wertschöpferische Prozess) und Konsumierens und verlangt nicht nur Anpassungsleistungen in der Ausrichtung der eigenen Geschäftstätigkeit, sondern auch in der Aus- und Weiterbildung und Attraktivierung des kultur- und kreativwirtschaftlichen Arbeitsmarkts. Die Verfügbarkeit von Fachkräften ist gerade in funktional hoch ausdifferenzierten Teilmärkten der Branche wie etwa im Film ein sensibler Wettbewerbs- und Wachstumsfaktor. Ein gesundes Arbeitsumfeld trägt dabei nicht nur zur allgemeinen Zufriedenheit bei, sondern wirkt sich auch positiv auf Kreativität und Produktivität aus. Die Verfügbarkeit von Kompetenzen gerade in der Bearbeitung der Kultur/Technik-Schnittstelle stärkt die Handlungsfähigkeit der Kultur- und Kreativschaffenden und fördert innovative Lösungsansätze. Die Digitalisierung ermöglicht dabei grundlegend neue Formen der Monetarisierung.
Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit prägen die Kultur- und Kreativwirtschaft
Top-Trends in der Kategorie Technologie sind die Ausbreitung Künstlicher Intelligenz (KI) und internetbefähigter Lösungen. Die Ausbreitung Künstlicher Intelligenz wird dabei von der Breite der Kultur- und Kreativschaffenden als bedeutende Entwicklung gewertet, die mit hoher Rasanz und Veränderungskraft auf die Branche trifft. Sie definiert die Beziehung von Mensch und Maschine neu, wird verfügbar als schöpferisches Instrument, eröffnet neue kreative Gestaltungsräume und fordert zugleich unser etabliertes Verständnis von künstlerischer Autorenschaft und geistigem Eigentum heraus. Auch die technische Infrastruktur des Internets und darauf basierender Lösungen treiben die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft weiter voran und werden von ihr getrieben. Insbesondere die Teilmärkte Software/Games, Rundfunk, Architektur, Design und Werbung unterstreichen die besondere Relevanz internetbasierter Dienstleistungen und der sich daraus ergebenden Wertschöpfungsperspektiven. In der Kategorie Ökologie dominiert der Trend zur Zirkularität. Herausgestellt wird damit die Ausbildung ressourcenschonender, in sich geschlossener Wertschöpfungskreisläufe, die keinen Anfangs- und Endpunkt haben, sondern sich beständig aus sich selbst heraus erneuern. Als besonders relevant, so lassen die Antworten erkennen, wird diese Entwicklung hin zur Zirkularität im Teilmarkt der Architektur eingeordnet, in dem bereits heute größere Anstrengungen unternommen werden, die gebaute Welt als Wertschöpfungskreislauf zu begreifen und zu planen. Aber auch in der Filmwirtschaft, der Designwirtschaft, dem Software-/Gamesmarkt und in der Darstellenden Kunst wird dieser Trend als besonders gewichtig angesehen, der die Hinwendung zur ökologischen Nachhaltigkeit als übergeordneten Trend und Wettbewerbsfaktor unterstreicht. Flankiert wird diese Entwicklung durch die zunehmende Bedeutung „nachhaltiger Gestaltung“.
Kooperation und Rechtsrahmen: Neue Wege in der Kultur- und Kreativwirtschaft
Weitere starke Trends liegen vor allem im Feld der Ökonomie, aber auch im politisch-rechtlichen Bereich. Hier tritt insbesondere der Schutz des geistigen Eigentums als ein Thema hervor, das in der kultur- und kreativwirtschaftlichen Ertragslogik, ähnlich wie in anderen ideen- und wissensbasierten Industrien, besondere Relevanz hat. Die voranschreitende Digitalisierung, neue Technologien, die sich ausbildende Plattformökonomie, aber auch die stark kooperativ ausgerichtete Wertschöpfungspraxis innerhalb der Branche rücken den Schutz des geistigen Eigentums und die Ausgestaltung eines effektiven Rechtsrahmens in den Fokus. Insbesondere auf Ebene der europäischen Politik lässt sich eine Entwicklung festmachen, die danach strebt, die Digitalisierung und ihre Produkte juristisch einzuhegen, europäisch zu profi-lieren, und sich so im globalen Wettbewerb abzuheben von Ländern wie den USA und China. Die Vergabe von exklusiven Verwertungsrechten wird dabei von einigen Denkschulen als wichtige Voraussetzung für Kreativität und Innovation begriffen. Beide Aspekte sind ein be-sonderes Merkmal einer zunehmend ästhetisierten Ökonomie, in der das ästhetisch Neue im Sinne einer sich der bloßen Steigerungslogik erwehrenden Produktion von Reizen, Sinneseindrücken, Überraschungen, emotionalen Regungen und dem (vermeintlich) Zweckfreien zum starken Fluchtpunkt wirtschaftlichen Schaffens wird. Der Mensch (Kunde) mit seinen Bedürfnissen und Ansprüchen rückt in den Fokus und wird mit Gütern adressiert, die nicht (zuvorderst) der Problembewältigung dienen, sondern das sinnliche Erleben und menschliche Wohlbefinden verfolgen. Auch diese Entwicklung wird als starker Trend seitens der Befragten erkannt. Die kultur- und kreativwirtschaftliche Innovationspraxis ist dabei eingebettet in dynamische Ökosysteme, in denen die Zusammenarbeit mit anderen Wissens-, Kompetenz- und Erfahrungsfeldern gefördert und eine neue Form von Ideen-Offenheit kultiviert wird. Ablesen lässt sich diese Entwicklung auch an der starken Betonung von Open-Content-Lizenzierungsmodellen als relevantem Trend.
Schlussfolgerungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft
Der Trendradar skizziert eine Branche im Wandel. Die auch hier als prägend herausgestellten Entwicklungen im Bereich der digitalen, grünen und auch sozialen Transformation begegnen uns bereits im Heute und werden sich (voraussichtlich) mittel- und langfristig weiter konkretisieren. Für die bayerische Kultur- und Kreativwirtschaft bedeuten sie immer wieder Anpassungen in der unternehmerischen Ausrichtung. Sie bedeuten aber auch neue Gestaltungsräume, veränderliche Formen kultur- und kreativwirtschaftlicher Wertschöpfung, Forschung, Entwicklung, Innovation und Wirkung.
1 Rust, Holger: Zukunftsillusionen – Kritik der Trendforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 11.
2 Neuhaus, Christian: Der Trend als Werkzeug. Gebrauchsanleitung für ein In-strument der strategischen Beobachtung, Zeitschrift für Zukunftsforschung, Jg. 7 (2018) Ausgabe 1, S. 2.
3 ebd.
4 Rohrbeck, René: Trend Scanning, Scouting and Foresight Techniques, in: Oliver Gassmann/Fiona Schweitzer (Hg.), Management of the Fuzzy Front End of Inno-vation, Schweiz: Springer 2014, S. 59 – 73.
5 Bogner, Kathrin/Landrock, Uta: Antworttendenzen in standardisierten Umfragen – GESIS Survey Guidelines, GESIS Leibnitzinstitut für Sozialforschung, Januar 2005, S. 4, www.gesis.org/fileadmin/admin/Dateikatalog/pdf/guidelines/antworttendenzen_bogner_landrock_2015.pdf [zuletzt aufgerufen 18.05.2024].
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