Scanner-Persönlichkeit: Kontinuierliches Lernen und bereichsübergreifendes Denken in KMU

Länge der Audiodatei: 00:17:26 (hh:mm::ss)

Innovationspionier Tobias Leisgang über Zukunftslust, Nachhaltigkeit und Innovation (22.05.2024)

Tobias Leisgang ist Führungskraft bei der Brose Gruppe, gleichzeitig selbstständiger Berater und Trainer sowie erfolgreicher Podcaster und Buchautor. Im Gespräch mit Dr. Tanja Jovanovic verrät er, wie er all diese Jobs unter einen Hut bringt, was ihn antreibt, warum eine Scanner-Persönlichkeit bei all dem hilfreich ist und in welcher Verbindung Zukunftslust, Nachhaltigkeit und Innovation stehen.

Kontakt & Moderation

Dr. Tanja Jovanovic

13.06.2024

Innovationspioniere zeichnen sich durch Kreativität, Risikobereitschaft und Beharrlichkeit aus und treiben den Fortschritt in verschiedenen Bereichen voran. Einer dieser Innovationspioniere ist Tobias Leisgang. Er ist Teilzeit-Führungskraft bei der Brose Gruppe, selbstständiger Berater, Podcaster, Autor und eine sogenannte Scanner-Persönlichkeit. Was das ist, warum Unternehmen davon profitieren und wie Tobias Leisgang mit Entscheidungen umgeht - darüber spricht er mit Dr. Tanja Jovanovic im nachfolgenden Interview.

Du bist Führungskraft, selbstständiger Berater, Podcaster und Buchautor. Wie bekommst Du das alles unter einen Hut? 

Tobias Leisgang: Ich glaube, ich bin sehr neugierig und lerne gerne Neues. Ich habe auch so ein bisschen den Antrieb, die Welt ein wenig besser zu machen. Also für eine gute Zukunft zu sorgen, für mich, weil ich ja hoffentlich noch ein paar Jahre auf dieser Welt lebe, aber auch für meine Kinder. Und das ist so der Antrieb für mich, möglichst viel auszuprobieren und zu experimentieren und irgendwo einen Effekt zu erzielen.
 

Wie kamst Du auf die Idee, Deine Führungsposition beim Automobilzulieferer Brose in Teilzeit auszuüben, und wie hat das Unternehmen darauf reagiert? 

Tobias Leisgang: Das war vor zwei Jahren. Ich war mit meiner Familie im Urlaub und hatte ein paar Ideen im Kopf, für die ich mehr Zeit brauchte. Es war klar, dass ich irgendwo kürzertreten musste und mein Vollzeitjob nahm einfach zu viel Zeit in Anspruch. Dann bin ich nach dem Urlaub zu meinem Chef gegangen und habe gesagt: “Hey Chef, ich würde gerne meinen Job in Teilzeit machen.” Der war erst mal ein bisschen verdutzt, weil Führungsposition und Teilzeit, das war jetzt nicht so üblich. Ich kannte auch niemanden, der das macht. Wir haben dann ein bisschen diskutiert. Es gab natürlich Bedenken, geht das oder geht das nicht. Nach ein paar Verhandlungen haben wir uns darauf geeinigt, dass ich zunächst eine Vier-Tage-Woche haben würde, was einer Reduzierung auf 80 Prozent meiner Arbeitszeit entsprach. Diese Vereinbarung wurde für eine Zeit von sechs Monaten getroffen. Nach dieser Zeit haben wir uns wieder zusammengesetzt. Konnte ja sein, dass ich das nicht schaffe, oder dass mein Chef sagt, das funktioniert gar nicht. Aber nachdem wir ein halbes Jahr experimentiert hatten, merkten wir, dass es funktioniert. Dann habe ich einfach weiter gemacht und jetzt sind es nur noch 25 Stunden, also 60 Prozent einer normalen Wochenarbeitszeit, die ich dort arbeite.  
 

Hat Dich dieser Lebensentwurf in irgendeiner Weise innovativer gemacht? 

Tobias Leisgang: Ja, also ich würde schon sagen, dass das tatsächlich innovativer macht. Meine Definition von Innovation ist: Es gibt eine Idee, aber es gibt auch eine Umsetzung. Und ich muss sagen, auf der einen Seite kann ich mit diesem Lebensentwurf mehr Ideen ausprobieren. Also ich kann tatsächlich mehr Experimente starten, weil bei der Innovation funktioniert nun mal nicht alles. Das muss ausprobiert werden. Manche Sachen gehen, manche Sachen gehen nicht. Ich kann meinen Job, den ich in der Firma habe, ein bisschen gestalten. Ich vergleiche das immer gerne mit einer Tapas-Bar. Also ich stelle mir so ein Tapas-Menü zusammen aus Aktivitäten, die ich gerne mache, und auch die Menge, wie viel ich von den verschiedenen Dingen in Anführungszeichen konsumieren will. 

Ich glaube auch, dass das Unternehmen und ich beide sehr davon profitieren, weil ich in meiner Selbständigkeit Dinge lerne, die ich hier in das Unternehmen mitbringe, aber auch im Unternehmen Dinge lerne, die mir für meine Selbständigkeit helfen. Also tatsächlich eine Win-Win-Situation. Das ist wirklich gelebte Cross Innovation. Lernen zwischen den verschiedenen Branchen. Was die eine Branche nicht weiß, weiß vielleicht die andere. Das ist ein Teil meines Berufes oder meiner Tätigkeit, weil ich eben in verschiedene Zusammenhänge reinschauen kann und nicht nur in die Automobilbranche.
 

Du hast einen eigenen Podcast mit Deinem Kollegen Peter Maischak. Er heißt “Kopf und Bauch, der Podcast der Entscheidungen”. Was steckt hinter dem Titel? 

Tobias Leisgang: Ich beschäftige mich eigentlich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Entscheidungen. Auch weil ich mich gefragt habe, warum tun sich Menschen oder entscheidende Unternehmen da so schwer, vor allem wenn es um Innovation geht. Da ist viel Unsicherheit. Was funktioniert und was funktioniert vielleicht nicht? Entscheidungen zu treffen hat immer sehr lange gedauert, oder die Leute haben sich einfach nicht getraut, sich zu entscheiden. Ich habe mich auch damit beschäftigt, weil ich das auch nicht in der Schule oder im Studium gelernt habe. Peter, mein Mit-Podcaster, hat auch sehr viel Wissen zum Thema Entscheidungen. Wir haben uns über LinkedIn kennengelernt und hatten mal eine Diskussion über das Thema, weil wir ein bisschen kontrovers waren. Er ist eher so der Zahlen- und Datengetriebene Entscheider. Ich sage, das darf auch mal aus dem Bauch kommen. Und dann haben wir gesagt, eigentlich müssten wir das mal so eine Stunde diskutieren und gleich aufnehmen. Und so ist die Idee zu diesem Podcast entstanden und eben auch der Titel Kopf und Bauch, quasi diese beiden Gegensätze darzustellen. 

Cross Innovation: Verschiedene Branchen voneinander lernen zu lassen, ist Teil meiner Tätigkeit. Was die eine Branche nicht weiß, weiß vielleicht die andere und durch meine Einblicke in unterschiedliche Kontexte kann ich dieses Wissen effektiv verknüpfen.

Tobias Leisgang
Brose Gruppe, selbstständiger Berater und Trainer

Verrätst Du uns zwei Deiner persönlichen Strategien, um schwierige Entscheidungen zu treffen? 

Tobias Leisgang: Also als ich auf das Konzept der Typ-1-, Typ-2-Entscheidung gestoßen bin, war das für mich wirklich etwas, was mein Entscheidungsverhalten verändert hat. Kurz zur Erläuterung: Amazon hat das mal veröffentlicht und die sagen, Du hast im Prinzip zwei Typen von Entscheidungen. Typ eins ist die große Entscheidung mit großer Tragweite. Da steht sehr viel auf dem Spiel. Die kostet vielleicht super viel Geld und ist nicht umkehrbar. Da hat Amazon eine Tür als Analogie genommen. Die hat einen Knauf dran und wenn die zugeht, dann kommst Du nicht mehr so einfach raus, dann wird es teuer und Du musst den Schlüsseldienst rufen. Also da musst Du Dir gut überlegen, ob Du diese Tür nimmst.  

Die meisten Entscheidungen im Unternehmen, aber auch im Privatleben sind tatsächlich aber Entscheidungen vom Typ 2. Die kannst Du eigentlich jederzeit mit wenig Aufwand rückgängig machen. Dazu wird das Bild einer Drehtür verwendet. Du kannst reinschauen und wenn Du sagst, das sieht anders aus, als ich mir das vorgestellt habe, das gefällt mir nicht so, dann gehst Du einfach durch die Drehtür wieder zurück. Das kostet vielleicht ein bisschen Zeit und Geld, aber im Prinzip muss ich keine Angst davor haben. Und das ist ein Tipp, der mir wirklich hilft, denn ich mache viele Experimente und ich sage wirklich, okay, das ist eine Entscheidung vom Typ zwei, die ist reversibel, die kann wieder zurückgedreht werden. Ich versuche es einfach. 

Wir hatten auch mal einen Pokercoach bei uns, der hat schon bei der TV-Total Pokernacht die ganzen Promis gecoacht und ist selbst ein ehemaliger erfolgreicher Pokerspieler. Und der hat die Philosophie: Das Wissen ist oft hinter der Entscheidung. Also beim Poker ist es so, dass Du erst mal Geld setzen musst, um herauszufinden, wie das Blatt der anderen Spieler ist. Und das ist eigentlich auch so mein zweiter Tipp. Oft ist es so, dass Daten gesammelt werden, um eine möglichst gute Entscheidung zu treffen. Aber wirklich wissen kannst Du es erst, wenn Du in die Umsetzung gehst. Und deswegen: Mut zur Entscheidung. Experimentieren. Überlege, was auf dem Spiel steht, und dann bekommst Du eigentlich die richtigen Informationen.
 

Triffst Du generell auf das Vorurteil, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im Widerspruch stehen? 

Tobias Leisgang: Das höre ich heute Gott sei Dank weniger als vor zwei, drei Jahren, als ich mit dem Thema angefangen habe. Aber zu oft ist dieser Widerspruch oder dieses Vorurteil noch da. Vielleicht aus Unwissenheit, vielleicht auch, wegen dem Stichwort Energiekosten. Weil tatsächlich vor einiger Zeit waren erneuerbare Energien vielleicht noch teurer als konventionelle Energien, aber das Thema Ökologie war da auch nicht eingepreist. Also die Rechnung zahlt dann jemand anderes dafür, dass wir etwas billig nutzen. Ich vergleiche das immer gerne mit einem Schemel. Nachhaltigkeit hat für mich drei Facetten. Einmal die ökonomische Nachhaltigkeit, die ökologische Nachhaltigkeit und die soziale Nachhaltigkeit. Und wenn eines dieser Beine zu kurz ist, dann ist der Schemel krumm und dann fällt er eben auch leicht um. Für mich geht das in beide Richtungen. Die ökologische Nachhaltigkeit wird nicht funktionieren, wenn die ökonomische Nachhaltigkeit nicht passt. Aber auch umgekehrt. Dann habe ich irgendwann einen Planeten, aber keine Ressourcen mehr oder ich habe Umweltkatastrophen. Und dann wird auch die ökonomische Nachhaltigkeit sehr deutlich drunter leiden. Und deswegen ist es oft so, dass eigentlich Ökonomie und Ökologie eine super Symbiose eingehen.
 

Hast Du ein Beispiel für uns? 

Tobias Leisgang: Ich kenne mittlerweile viele Beispiele aus unserer Lieferkette, wo es super interessante Lösungen gibt, die sowohl Geld sparen als auch nachhaltiger sind. Das ist ganz logisch. Energie kostet Geld und Dinge, die viel Energie verbrauchen, wenn da die Energie reduziert werden kann, dann wird es auch entsprechend günstiger.  

Wenn zum Beispiel unser Lieferant eine tolle Idee hat, wie er einen Produktionsprozess noch effizienter gestalten kann, dann ist das immer auch im Sinne der Nachhaltigkeit, weil ich vielleicht weniger Material wegwerfen oder weniger Energie einsetzen muss. Vielleicht hat auch jemand einen neuen Werkstoff erfunden, der nicht aus endlichen Ressourcen hergestellt wird, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen. Oder jemand hat eine Lösung, wie ein Kreislauf geschlossen werden kann und sagt, okay, hier habe ich den Anteil an Recyclingmaterial erhöht und dadurch wird es sowohl günstiger als auch nachhaltiger.
 

Es wird oft gesagt, dass Menschen wie Du eine sogenannte Scanner-Persönlichkeit haben. Das sind Personen, die sehr neugierig und kreativ sind, immer etwas Neues lernen und ausprobieren wollen, sich aber auch schnell langweilen. Wann langweilt sich Tobias Leisgang? 

Tobias Leisgang: Ein Tobias Leisgang langweilt sich, wenn er sich zu lange mit einem Thema beschäftigt hat. Also wenn ich etwas drei Jahre mache, dann brauche ich was Neues. Aber Nachhaltigkeit ist so ein Marathonding. Da passieren immer wieder neue Sachen. Es gibt eine bunte, schillernde Welt von Startups im Bereich der Nachhaltigkeit. Ich glaube, jeden Tag werden zig tolle Startups gegründet, die sich mit dem Thema beschäftigen, die großartige Lösungen kreieren, auch im Bereich der Innovation. Es gibt immer etwas zu verbessern. Neue Technologien und KI sind in aller Munde. Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein neues Tool herauskommt. Weder beim Thema Innovation noch beim Thema Nachhaltigkeit wird es, glaube ich, so schnell langweilig. Also es gibt immer wieder neues Futter für meine Neugierde, auf jeden Fall.
 

Hast Du noch einen Tipp für den richtigen Anstoß, um ein neues Projekt in Angriff zu nehmen? 

Tobias Leisgang: Ich habe zwei Tipps. Zum einen möchte ich noch einmal auf den Tipp mit den Typ-2-Entscheidungen zurückkommen und möchte einfach alle Personen ermutigen, aus einer großen Entscheidung eine kleine Entscheidung zu machen. Das ist oft wie auf dem 5er Sprungbrett im Schwimmbad. So ein bisschen eine Angst. Es kann auch erst mal vom 1er ins Wasser gesprungen werden. Das fühlt sich nicht so schlimm an. Also macht das Projekt kleiner, macht nicht so ein großes Ding draus. Und Tipp Nummer zwei: Ich nehme oft so ein bisschen eine Zukunftsangst wahr, eine Unsicherheit. Was könnte da auf uns zukommen? Sich da einfach zu trauen und zu sagen, okay, ich kann das gestalten. In den wenigsten Fällen wird eine Entscheidung das Ende der Welt bedeuten oder etwas Katastrophales sein. Und ja, es kann zu Irrtümern kommen. Aber zumindest habe ich meine Erkenntnis, was genau nicht funktioniert hat. Ich habe es versucht. Also habt Mut und habt Lust auf die Zukunft. Gestaltet sie für euch. Einfach mal machen.  


Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leitung Marketing und Innovationsmanagement, Mitglied der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

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