Interview: Aktive und passive Exoskelette in der Pflege

22.07.2024

Die Pflegebranche steht vor zahlreichen Herausforderungen, von denen die körperliche Belastung der Pflegekräfte eine der größten ist. Mit der Einführung von Exoskeletten könnte sich das ändern: Diese Technologie bietet Unterstützung für das Muskel-Skelett-System und könnte dazu beitragen, die Gesundheit und Effizienz der Pflegekräfte zu verbessern. In einem Interview mit Tanja Pollak vom Pflegepraxiszentrum Nürnberg erfahren wir mehr über die Anwendung und Vorteile dieser innovativen Hilfsmittel.

Was sind Exoskelette und wie funktionieren sie? 

Tanja Pollak: Exoskelette gibt es in verschiedenen Ausführungen. So bezeichnet man zum Beispiel auch einen Nierengurt, ähnlich wie man es vom Motorradfahren kennt, als Exoskelett. Gleichzeitig gibt es aber auch Produkte, die man wie einen Rucksack aufsetzt und Verbindungen aus Elastomeren, Gummizügen oder Streben von der Schulter bis zum Knöchel haben.

Was genau kann ein Exoskelett und wofür wird es benutzt? 

Tanja Pollak: Exoskelette sind Strukturen, die am Körper getragen werden, um das Muskel-Skelett-System bei bestimmten Körperbewegungen oder Haltungen zu unterstützen. Im Endeffekt leisten Exoskelette Unterstützung der eigenen Kraft, bei Bewegungen, wenn man etwas hält oder auch wenn man sich überbeugt. Wie zum Beispiel wenn man einen Wasserkasten nicht, wie man es eigentlich machen sollte, aufhebt, also nicht in die Knie geht, sondern sich überbeugt, dann kann so ein Exoskelett diese Aufwärtsbewegung unterstützen.

Was ist der Unterschied zwischen aktiven und passiven Exoskeletten? 

Tanja Pollak: Während passive Exoskelette hauptsächlich aus Gummizügen bestehen und Schienen bzw. Gewichte besitzen, haben aktive Exoskelette eine aktive Antriebskomponente. Das heißt, sie werden durch Mechanik gesteuert und haben teilweise sogar schon Sensorik. Passive Exoskelette werden wirklich nur von der eigenen Körperkraft gesteuert.

Exoskelette im Pflegepraxiszentrum Nürnberg in der Anwendung – Standard oder Testphase?

Tanja Pollak: Tatsächlich sowohl als auch. Wir haben im NürnbergStift eine Erprobung durchgeführt und mit passiven Exoskeletten gearbeitet. Rund 50 Mitarbeiter hatten Interesse, aber nicht alle konnten in die Erprobung eingeschlossen werden. Nun haben wir für 20 Interessierte Exoskelette erworben, sodass wir insgesamt rund 25 Exoskelette im Einsatz haben. Zusätzlich nutzen wir sie für Workshops und Schulungen. 

Bei den Kolleginnen auf den Bereichen haben wir das so vereinbart, dass sie die Tragezeit anfangen mit einer halben Stunde - und dann steigern. Und da wars dann tatsächlich so, dass sie es teilweise schon vermisst haben, wenn sie es nicht mehr anhatten.

Tanja Pollak
Projektmanagerin, Pflegepraxiszentrum Nürnberg

Welche konkreten Einsatzbeispiele gibt es für Exoskelette? 

Tanja Pollak: In unserer Erprobung haben Pflegemitarbeiterinnen berichtet, dass sie die Exoskelette zum Beispiel für Lagerungen und Transferhandlungen einsetzen, um Pflegebedürftige vom Bett in den Rollstuhl oder andersherum zu bewegen. Auch beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen oder zur allgemeinen Körperpflege werden Exoskelette eingesetzt. Eine Leitungsfunktion hat berichtet, dass sie das Exoskelett gerne trägt, während sie am Schreibtisch sitzt und Dokumentationsarbeit macht.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Einführung von Exoskeletten? 

Tanja Pollak: Als erstes sind natürlich die Finanzierung und die Akzeptanz der Geräte zu nennen. Die aktiven Exoskelette sind noch teilweise sehr wuchtig und haben viele Komponenten, bei denen man sich verletzen könnte. Persönliche Vorlieben der Mitarbeiter spielen auch eine Rolle. Manche mögen es einfach nicht, noch etwas Zusätzliches am Körper zu tragen.

Können Exoskelette dem Fachkräftemangel entgegenwirken? 

Tanja Pollak: Es ist wichtig, Technologien wie Exoskelette einzusetzen, um das vorhandene Pflegepersonal gesund zu erhalten und den Job attraktiver zu machen. Unabhängig davon, ob es nur Exoskelette sind oder andere Technologien, müssen die Pflegekräfte unterstützt werden, damit die Arbeitskraft erhalten bleiben kann.

Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leitung Marketing und Innovationsmanagement, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Bayern Innovativ GmbH.

Exoskelette: Die Zukunft der Pflegeentlastung?

Laut der DAK-Gesundheit liegen in Deutschland Krankmeldungen aufgrund des Muskel-Skelett-Systems an zweiter Stelle im Fehlzeitengeschehen. Um diese Situation zu entschärfen, könnten Exoskelette einen Teil der Lösung darstellen. Vor allem in der sehr anspruchsvollen Pflege wäre eine körperliche Entlastung eine sinnvolle Maßnahme. Wie so etwas aussehen könnte, hören Sie im Podcast mit Dr. Tanja Jovanovic und Tanja Pollak vom PPZ Nürnberg. 

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