Digitale Transformation: Die Lernkultur in KMU macht den Unterschied
Gibt es einen bestimmten Innovationspionier oder eine Erfahrung, die Dein Denken infiziert hat?
Annika Leopold: Was mich infiziert hat, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Das war nicht eine einzelne Person, sondern das kam eigentlich relativ früh, nämlich mit der Wahl meines Studiums nach der Stammhauslehre bei einem großen heimischen Konzern. Ich habe damals schon gemerkt, ich brauche was anderes. Ich wollte neue Verbindungen schaffen, etwas mit Wissen machen und habe damals in Hildesheim angefangen, Internationales Informationsmanagement zu studieren, was ein relativ junger Studiengang war. Und das hat mich eigentlich so ein bisschen infiziert. Der Grund dafür war, dass es sich um einen sehr interdisziplinären Studiengang handelte, in dem es um Informationsmanagement, Informationswissenschaften, aber auch um interkulturellen Austausch ging.
Wir als Studierende hatten immer das Gefühl, dass wir alles und nichts lernen, aber nichts so richtig im Detail. Aber heute ist mir klar, dass wir eigentlich schon damals relativ viel über Zukunftskompetenzen gelernt haben. Wie kann analytisches Denken mit Empathie verbunden werden? Wie können wir uns besser in andere hineinversetzen? Aber es ging auch um Technik, wie neuronale Netze und semantische Technologien. Für mich war das Zusammenbringen dieser Dinge sehr spannend.
Durch die Grundausbildung vorher hatte ich auch immer die Möglichkeit als Werkstudentin zu arbeiten und habe mir so das Studium selbst finanziert. So ist dann auch die Chance entstanden, dass ich später im Konzern mitarbeiten konnte, damals im von Siemens neu gegründeten Center of E -Excellence am Münchner Flughafen, wo Business Accelerator Start-ups gefördert wurden. Ich habe dort im Wissensmanagement gearbeitet und das war einfach mega – das hat mich total infiziert und ich wusste, dass ich in dem Bereich auch mal arbeiten möchte.
Du warst 15 Jahre in diesem Konzern als Prozess-Consultant tätig. Was hat Dich zur Selbstständigkeit bewegt?
Annika Leopold: Natürlich habe ich die Entwicklungsmöglichkeiten im Konzern geschätzt und ich sage mal, rein von den Kompetenzen im Consulting hatte ich das perfekte Spielfeld dafür. Allerdings gab es auch Grenzen. Ich habe zahlreiche Konzepte erstellt, von denen viele letztendlich in der Schublade landeten, aufgrund von Konzernvorgaben oder politischen Aspekten, die das Umsetzen erschwerten. Dann gab es einige familiäre Ereignisse, die mich zum Nachdenken brachten, und ich habe mich gefragt: Womit verbringe ich eigentlich 10 Stunden am Tag meine Zeit, die ich mit Leben füllen kann, was kann diese wertvoll machen? Und irgendwie hüpfte mein Herz nicht mehr. Dann habe ich entschieden, dass ich das so nicht mehr wollte.
Ich hatte damals das Glück, sehr gut kombinieren zu können. Ich hatte schon mein erstes Kind. Und dann habe ich meine Fühler ausgestreckt und habe mich sozusagen für den Serendipitätseffekt entschieden. Für diejenigen, die Serendipität nicht kennen, das sind “glückliche Umstände“, die nicht geplant sind, sondern aus Zufall einfach passieren und sich daraus neue Möglichkeiten ergeben. Ich habe damals tatsächlich eine Stellenanzeige gefunden für einen freiberuflichen Projektleiter im Bereich Marketing und Kommunikation, die mich total angefixt hat. Und das war der erste Sprung, wo ich gesagt habe, hey, das versuche ich einfach mal. Und so hat es angefangen.
Du hast auch die Digitalwerkstatt Forchheim ins Leben gerufen. Was ist das genau?
Annika Leopold: Die Digitalwerkstatt ist eine Mischung aus Eventspace, also einem kreativen Raum, in dem inspirierende Arbeitsumgebungen mit Methoden und Tools zusammentreffen. Und wir sind gleichzeitig eine Kompetenzschmiede für New Work und Kundenzentrierung, d.h. wir beraten und begleiten Unternehmen bei der digitalen Transformation. Gleichzeitig war es der Wunsch zu sagen, ich möchte einen Treffpunkt im ländlichen Raum schaffen, wo zufällige Begegnungen gefördert werden und wo tatsächlich neue Verbindungen entstehen zwischen Menschen, die sich vorher nie so begegnet wären. So kam das alles ins Laufen. Das war aber nicht so geplant, sondern das hat sich einfach so ergeben. Also, der Weg ist das Ziel, wie so oft im Leben.
Die Digitalwerkstatt ist kein abgeschlossener Raum, sondern befindet sich mitten in einer richtigen Werkstatt. Warum wurde diese besondere Fläche gewählt?
Annika Leopold: Vielleicht war es, wie es einmal in der Lokalpresse hieß, eine innovative Form der Familienzusammenführung. Mein Mann und ich haben 2016 das Gebäude gebaut und ein Großteil davon ist eine LKW-Werkstatt – er ist Geschäftsführer des Leopolds Nutzfahrzeug Zentrum. So nutzen wir Synergien und auch dieser Branchenmix inspiriert mich, weil ich normalerweise im Alltag nicht so viel mit handwerklichen Themen zu tun habe und da auch wieder ganz andere Disziplinen gefragt sind.
Damals war ich oft bei Kunden vor Ort unterwegs und habe festgestellt, dass ich meine eigene Arbeitsweise und Kreativität nicht voll entfalten konnte. Deshalb habe ich mich entschieden, dass wir bei unserem Bau gleichzeitig ein Synergiezentrum schaffen sollten, in dem auch Ideen befruchtet werden können. Wir haben auch verschiedene andere Dienstleister im Gebäude mit drin, eine Autovermietung und den TÜV zum Beispiel.
Die Digitalwerkstatt, so wie sie jetzt ist, das war eigentlich auch wieder so ein Zufallseffekt. Denn der große Eventspace mit den 200 Quadratmetern waren ursprünglich für einen Campinganbieter reserviert, der da einziehen wollte, aber abgesprungen ist. Und dann hatten wir da oben den Rohbau und ich dachte, okay, was kann damit gemacht werden? 2018 haben wir den ersten Book Sprint gemacht mit verschiedenen Fachleuten zum Thema Faszination New Work. Den haben wir noch im Rohbau gemacht und ich habe gemerkt, dass der Raum eine besondere Atmosphäre hat. Und so kam das Ding ins Rollen und so ist die Digitalwerkstatt zu dem geworden, was sie heute ist.
Was braucht es generell, um Innovation in einer Region zu wecken?
Annika Leopold: Heute sind wir im ländlichen Raum schon viel weiter als damals. 2017, 2018 waren Innovationszentren oder Austausch oder Co-Working im ländlichen Raum noch nicht so verbreitet. Da hat sich in den letzten Jahren wirklich viel getan. Aber deswegen ist es auch heute noch so, dass viele Leute gar nicht wissen, was die Digitalwerkstatt macht und was das eigentliche Potenzial ist.
Ich glaube, es braucht ein langsames Mitnehmen von Menschen in ganz unterschiedlichen Disziplinen. Jetzt haben wir das Glück, dass wir sehr nahe an der Autobahn liegen, also sehr gut erreichbar sind. Ich glaube, Menschen müssen begeistert werden. Wir alle brauchen soziale Kontakte und wollen uns weiterentwickeln. 2017 habe ich angefangen, eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Digital Detox“ zu machen. Das heißt, auch wenn es bei uns um Digitalkompetenzen geht, achten wir auf uns selbst und unsere eigenen Ressourcen. Und da ich schon immer in offenen Netzwerken gedacht habe, habe ich verschiedene Leute eingeladen, um an verschiedenen Themen zu arbeiten wie z.B. Stimmtraining, Visual Storytelling, also Graphical Recording oder eben Sketchnoting und ganz andere Dinge – wir haben experimentiert und geschaut, wer kommt, wer hat Lust und was ergibt sich daraus. Das war der erste Anstoß, um auch selbst Weiterbildungsthemen anzubieten. Ich habe geschaut, wie können Stärken vor Ort genutzt werden. Wir haben ja die Fränkische Schweiz vor Ort und haben zum Beispiel eine sehr pfiffige Geschäftsführerin für integrierte ländliche Entwicklung, die sich auch dafür interessiert, wie Leute zusammenkommen, die vielleicht vorher nicht zusammen waren. Ich glaube, es geht darum, rein zu spüren und zu schauen, wer ist reif, die Leute mitzunehmen und zu schauen, was entsteht daraus und immer kleinschrittig vorzugehen. Es geht nicht zum Überstülpen, sondern es muss wirklich geschaut werden, was entwickelt sich da langsam und kontinuierlich. Und wenn die Leute begeistert sind, dann reden sie darüber und so entwickelt es sich weiter.
Ich habe für mich festgestellt, dass Freiheit, Wissbegierde und Einflussnahme die wichtigsten Motivatoren sind & Probleme stets unentdeckte Chancen bieten.
Annika Leopold
Inhaberin, Die Digitalwerkstatt
Du lernst gerne und bringst es gerne anderen bei. Warum ist das gerade einer Deiner Schwerpunkte geworden?
Annika Leopold: Ich kann dir gar nicht genau sagen, wie ich dazu gekommen bin. Ich mag weder Schule noch Prüfungssituationen. Also, wenn Du mich fragst, was mir aus meiner Schulzeit an Wissen geblieben ist, dann ist das leider nicht viel – meine Söhne spiegeln mir das immer mal wider. Ich weiß nicht, ob Du die Moving Motivators kennst. Das sind die zehn Motivatoren, die besagen, was hat wirklich Einfluss auf mich im Arbeitskontext. Und ich habe festgestellt, dass bei mir die Motivatoren in hohem Maße die Freiheit, die Wissbegierde und Einflussnahme sind. Also, ich pick mir unheimlich gerne Dinge neu raus und schaue, wie kann ich was neu kombinieren, was entsteht vielleicht daraus. Ich glaube, ich bin relativ unerschrocken, wenn es darum geht, Risiken einzugehen und zu sehen, wohin uns das führt. So wie beim Book Sprint oder bei anderen Sachen: ich weiß zu Beginn nicht, was daraus wird, aber wir glauben einfach daran, dass wir das hinkriegen. Egal, was dabei herauskommt, was wir haben, ist gut.
Mir ist aufgefallen, dass es mir einfach sehr viel Spaß macht, Dinge oder kleine Learning Nuggets auch für andere zu schaffen und zu merken, hey, da tut sich was und ich kann was bewirken. Wenn Menschen mir sagen, dass sie nicht kreativ sind und das nicht können und du es dann mit kleinen spielerischen Einheiten schaffst, so ein Leuchten in die Augen zu bringen und zu sagen, boah, wow, da hat sich ein Hebel bewegt. Das macht mich echt glücklich. Und das merke ich selbst an meiner eigenen Entwicklung. Ich habe heute ein anderes Spektrum als vielleicht noch vor 15 Jahren. Und ich habe auch manchmal gedacht, wie kriege ich den Bogen zu meinem Studium hin? Aber eigentlich ist es schon damals genau in diese Richtung gegangen. Und bei mir ist es wirklich die Begeisterung, den Spaß mit der Arbeit zu verbinden und zu sehen, wenn du Spaß und Arbeit kombinierst, dann kommt wirklich Effizienz und Leistung dabei heraus. Denn wir arbeiten ja nicht zum Selbstzweck, sondern weil etwas dabei rauskommen soll. Aber wenn dies mit Freude gemacht wird, dann kann gleich viel mehr erreicht werden.
Welchen Rat gibst Du Unternehmen, die sich gerade in einem Transformationsprozess befinden?
Annika Leopold: Was mir immer wichtig ist, ist erst mal die Unsicherheit in der Transformation anzuerkennen. Es ist völlig normal, unsicher zu sein, das gehört dazu. Wichtig ist, wie kann ich Menschen psychologisch stärken, dass sie in der Unsicherheit trotzdem gut agieren können und sich trauen, Entscheidungen zu treffen. Das ist tatsächlich der Weg der kleinen Schritte. Und auch mit Rückschlägen umgehen zu können, zu schauen, was kann ich daraus machen.
Ich rate auch dazu, in andere Branchen zu schauen, also nicht nur die eigene Branchenbrille zu haben. Denn ich persönlich, und das gefällt mir auch an meinem Job, arbeite sowohl für NGOs als auch für extrem prozessoptimierte Branchen wie die Automobilindustrie. Da können beide unglaublich viel voneinander lernen. Und da versuche ich dann auch immer wieder, die Brücke zu schlagen. Im Prinzip rate ich denen, sich von anderen inspirieren zu lassen und immer zu schauen, wie kann ich das auf mich und meine individuelle Situation anwenden. Denn Probleme sind immer auch unentdeckte Chancen. Und ja, eine positive Einstellung ist das A und O und ich glaube, anfangen und schauen, wie kann ich das angehen und wirklich in kleinen Schritten gehen und akzeptieren, dass es bei einer Transformation immer drei Schritte vorwärts und zwei Schritte rückwärts geht und dass das nicht übergestülpt werden kann, das ist wichtig.
Wie gehst Du mit beruflichen und persönlichen Rückschlägen um?
Annika Leopold: Rückschläge sind immer so eine Sache, was nenne ich einen Rückschlag? Wenn ich so darüber nachdenke, das war so um 2015, da waren wir schon im Neubau der Werkstatt und damit auch der Digitalwerkstatt. Ich habe damals sehr lange für einen guten Kunden gearbeitet, wo sich interne Dinge so geändert haben - auch personell - , dass ich damit nicht mehr mitgehen konnte. Das heißt, ich war für mich total in Trouble. Das war ein Rückschlag für mich, weil ich dachte, ich kann nicht wirklich das bewegen, was ich bewegen wollte und es war wie eine kleine Niederlage – bei meinem damals größten Kunden. Hinzu kam, dass mein Mann einen schweren Bandscheibenvorfall hatte und operiert werden musste. Er ist aber als Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens immer der Frontmann. Das heißt, er muss da funktionieren – es geht kaum ohne ihn. Wir hatten damals zwei kleine Kinder. Meine Schwiegermutter war todkrank und wir hatten eben den Neubau. Da war für mich klar, okay, ich muss zurücktreten. Da war für mich der Weg zu sagen, ich nehme mich raus und fokussiere mich auf das, was gerade wichtig ist – unabhängig von den eigenen Vorlieben und Zielen.
Was ich von meiner Mutter gelernt habe: Wenn Du eine Sache nicht ändern kannst, dann ändere Deine Einstellung dazu. Sei bereit, auch wenn Dir der Kopf schwirrt und Du Flausen im Kopf hast, zu sagen, es geht nicht jetzt im Moment – sitze es aus und mach was draus. Denn es geht immer darum, auf sich zu achten und zu reflektieren, was einem wichtig ist. Und ich glaube, das ist tatsächlich der Punkt, auf den es ankommt. Also mit Rückschlägen umzugehen, ist immer, sich selbst am besten zu kennen und zu sagen, was sind meine Energieräuber und meine Energiequellen und dem nachzugehen.
Ein wichtiger Punkt, den ich nur mitgeben kann, gerade wenn wir jetzt von Innovationspionieren sprechen, ist, dass die Leute immer denken, sie müssen am Puls der Zeit sein. Wenn ich jetzt nicht weitermache, dann ist der Zug abgefahren. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Zug nie ohne einen abfährt, wenn die intrinsische Motivation da ist und die Menschen an sich glauben und sich natürlich auch ein Leben lang weiterentwickeln. Deswegen glaube ich, dass mit Rückschlägen immer umgegangen, sich darauf eingelassen und geschaut werden muss, was braucht es. Und dann wieder neu angefangen und einfach geschaut werden muss, wo sind Chancen, was ergibt sich daraus, wie kann darauf weiter aufgebaut werden.
Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leitung Marketing und Innovationsmanagement, Mitglied der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Digitale Transformation – Lernkultur KMU – Innovationspionierin: Annika Leopold
Dr. Tanja Jovanovic spricht in dieser Folge mit Annika Leopold. Sie ist Gründerin der Digitalwerkstatt Forchheim und sie ist Innovationspionierin. Sie berichtet darüber, was sie antreibt, welche Rolle die Region spielt und wie der Austausch von Wissen uns alle weiterbringt.
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