Interview: Bioprinting: Wegbereiter für die Medizin der Zukunft?

22.07.2024

Bioprinting – eine faszinierende Technologie, die die Grenzen zwischen Biologie und Technik verschwimmen lässt – hat in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das Verfahren kombiniert dabei die Prinzipien des 3D-Drucks mit biologischen Materialien, um komplexe Gewebestrukturen herzustellen. Durch Bioprinting eröffnen sich neue Wege in der medizinischen Entwicklung sowie der Transplantations- und Medikamentenerforschung. Doch wie funktioniert Bioprinting und wo stehen wir heute? Die Antwort erfahren Sie im nachfolgenden Interview mit Dr. Harald Unterweger, Projektmanager im Innovationsnetzwerk Gesundheit der Bayern Innovativ GmbH.

Harald, sind Bioprinting bzw. Organe aus dem 3D-Drucker bereits Realität oder noch Zukunftsmusik? 

Dr. Harald Unterweger: Die Vision von Organen aus dem Drucker ist gar nicht so weit hergeholt. Im Moment wird sehr viel gedruckt, wie zum Beispiel Steaks und Häuser. Warum also nicht auch Organe? 

Tatsächlich ist die Technologie relativ alt. Bereits vor 20 Jahren gab es die ersten Anfänge. Damals wurde eine Blase 3D-gedruckt mit Zellen besiedelt und einem Patienten implantiert, der heute noch lebt. Es können jedoch auch schon komplexere Strukturen gedruckt und transplantiert werden, z. B. Knochen- oder Knorpelmaterial. Vor wenigen Wochen wurde beispielsweise berichtet, dass einem Jungen aus Salzburg eine maßgeschneiderte Schädelplatte implantiert wurde. Das Transplantat wurde speziell für die Fraktur angefertigt und anschließend erfolgreich transplantiert. Ohne diese Technik wäre der Junge wahrscheinlich verstorben. 

Warum hat sich der 3D-Biodruck noch nicht flächendeckend durchgesetzt?

Dr. Harald Unterweger: Eine Blase ist ein vergleichsweise einfaches Organ. Bei komplexeren Körperteilen wie der Niere oder dem Herz dagegen interagieren viele Zellen miteinander, was zu einer höheren Komplexität führt. Im Vergleich zu einer Blase, die im Prinzip nur wie eine Hülle ist, können diese Organe nicht einfach so gedruckt werden. Hier handelt es sich um eine komplexe 3D-Struktur, die eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich bringt. Und um das gleich mal vorwegzunehmen, wir sind im Moment nicht in der Lage, komplexe 3D-gedruckte Organe zu drucken. Das ist tatsächlich eine Zukunftsvision. Aber wir sind auf dem besten Weg, denn in den letzten Jahren wurden bereits viele Schritte in diese Richtung unternommen. 

Wie funktioniert Bioprinting? 

Dr. Harald Unterweger: Das Grundprinzip ähnelt dem eines klassischen 3D-Druckers, bei dem das Filament erhitzt wird, bis es flüssig ist. Das flüssige Plastik wird dann Schicht für Schicht aufgetragen und gedruckt. Ähnlich verhält es sich beim Bioprinting. Dort gibt es Biotinten. Diese werden spotweise auf eine Schicht aufgebracht und dann ebenfalls Schicht für Schicht aufgetragen. 

Was ist Biotinte? 

Dr. Harald Unterweger: Biotinte ist im Prinzip eine Masse, die in ihrer Viskosität mit Zahnpasta verglichen werden kann. Darin enthalten sind vor allem menschliche Zellen. Um diese Zellen erfolgreich zu drucken, müssen Wachstumsfaktoren und Stützstrukturen verwendet werden. Würden nur die Zellen gedruckt werden, sähe das Ergebnis wie ein zerlaufenes Spiegelei aus. Durch die Verwendung von Stützstrukturen wie Hydrogelen oder Gelatine können jedoch auch komplexe Schichten aufgebaut werden. Die Schwierigkeit ist tatsächlich nicht unbedingt das Drucken einer dreidimensionalen Struktur. Im Jahr 2019 hat eine Forschergruppe aus Israel beispielsweise ein Miniaturherz gedruckt, das tatsächlich wie ein kirschgroßes menschliches Herz aussieht. Es hat zwar keine Funktion, aber die Zellen sind drin. Die große Schwierigkeit besteht eher darin, die Zellen auch zu versorgen. Das heißt, Mikrostrukturen zu schaffen, die die Zellen dann mit Nährstoffen versorgen. Das ist die große Herausforderung, die es noch zu bewältigen gilt, bevor wirklich komplexe große Organe gedruckt werden können. 

Derzeit stehen etwa 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan, während die Zahl der Spender pro Jahr knapp unter 1.000 liegt. Bioprinting könnte hier Abhilfe schaffen.

Dr. Harald Unterweger
Gesundheit, Projektmanager, Bayern Innovativ GmbH

Wie werden die verschiedenen Komponenten beim Bioprinting zusammengeführt? 

Dr. Harald Unterweger: Beim klassischen 3D-Druck wird in der Regel ein Stützmaterial schichtweise aufgetragen. Es gibt aber auch das Konzept, mehrere Düsen zu benutzen und damit verschiedene Materialien zu verbinden und zu drucken. Das gibt es auch beim Bioprinting, dass verschiedene Düsen vorliegen, wo dann zum Beispiel verschiedene Zelltypen miteinander kombiniert werden können. Denn ein Herz besteht nicht nur aus Herzzellen, sondern aus verschiedenen Zellen, die miteinander interagieren. Den Zellen aber nur eine dreidimensionale Struktur zu geben, daraus wird noch kein Organ. Das sieht zwar gut aus und lässt sich gut präsentieren, aber die Funktion ist noch nicht gegeben. Um auf das Beispiel aus Israel mit dem Miniaturherz zurückzukommen: Dieses Herz hat keinen Herzschlag. Die Zellen sind zwar vorhanden, aber die Wechselwirkung zwischen den Zellen nicht. 

Welche Vorteile hat Bioprinting? 

Dr. Harald Unterweger: Bioprinting hat sehr viele Vorteile. Grundsätzlich besteht ein sehr hoher Bedarf an künstlichen Organen. Aktuell stehen knapp 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Ganz oben auf der Liste stehen Nieren. Dann kommen Organe wie Herz, Leber, Bauchspeicheldrüse und Lunge. Das sind die fünf am häufigsten benötigten Spenden. Allerdings gibt es pro Jahr nur knapp unter 1.000 Spender. Der Bedarf ist also immens und könnte durch Bioprinting gedeckt werden. Wenn ein Patient kommt und ein neues Herz braucht, dann könnte an den Drucker gegangen werden, ein Modell reingeladen und das Herz ausgedruckt werden. Es muss dann noch ein wenig nachreifen, aber das Organ könnte wesentlich schneller zur Verfügung gestellt werden als bisher.  

Darüber hinaus können gedruckte Miniorgane bereits heute eingesetzt werden, um zu untersuchen, wie Medikamente wirken. Wenn aktuell ein neues Medikament entwickelt wird und seine Wirkung beobachtet werden soll, dann werden in der Regel zunächst Untersuchungen an Zellkulturen durchgeführt. Dafür werden Petrischalen verwendet, in denen Zellen in 2D also flach angeordnet sind. Die Wechselwirkungen mit den einzelnen Zellen sind dort sehr gering. Anschließend wird ein Wirkstoff darauf gegeben und geschaut, ob die Zellen sterben, überleben, exprimieren etc. In einem komplexen Material wie unseren gedruckten Organen ist die Möglichkeit, Wechselwirkungen zu untersuchen, viel besser. Das heißt, es gibt dort einen Fluss, also ein dynamisches System. Das gibt es bei der Zellkultur nicht. Dort ist lediglich die Petrischale, in der die Zellen sitzen und darauf warten, dass etwas passiert. Bei einem komplexen Modell können im Durchfluss ganz andere Phänomene und Mechanismen untersucht werden. 

Zusätzlich können nicht nur Organe gedruckt, sondern auch gezielt Organe mit einem Defekt hergestellt werden. Beispielsweise kann ein krebsartiges Organ verwendet werden, um die Wirksamkeit von Medikamenten bei bestimmten Krankheiten zu untersuchen. Diese Mechanismen werden bereits heute untersucht. 

Und mittelfristig ist es auch so, dass Tierversuche, die für die medizinische Entwicklung notwendig sind, weiter reduziert werden können. Das liegt daran, dass aufgrund des Bioprintings dann besser mit einem „primären“ Material gearbeitet werden kann.  

Welche Berufe beschäftigen sich primär mit Bioprinting? 

Dr. Harald Unterweger: Entlang der Wertschöpfungskette sind eine ganze Reihe unterschiedlicher Berufe daran beteiligt. Das sind zum einen die Biologen und Biologinnen sowie die Biotechnologen und Biotechnologinnen, die an den Tinten und an der Wechselwirkung der verschiedenen Materialien mit den Zellen arbeiten. Dann gibt es noch die Ingenieure und Ingenieurinnen, die die Drucker bauen, beziehungsweise neue Drucktechniken entwickeln. Und schließlich sind da noch Forschende und die Mediziner und Medizinerinnen, die diese Materialien entsprechend einsetzen und dann hoffentlich irgendwann auch in Menschen implantieren können. 

In welchem Jahr könnte Bioprinting Realität werden?  

Dr. Harald Unterweger: Das ist ein bisschen wie Glaskugel-Raten. Es ist so, dass gerade in den letzten fünf bis zehn Jahren massiv viel passiert ist. Ich würde nicht ausschließen, dass wir das noch erleben können. Es ist schwierig, eine genaue Jahreszahl festzulegen. Es kann durchaus sein, dass wir den einen oder anderen technischen Fortschritt generieren können oder dass die künstliche Intelligenz zu einem großen Sprung verhilft. Dies kann in zehn, zwanzig oder aber dreißig Jahren der Fall sein. 

Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leitung Innovationsmanagement bei der Bayern Innovativ GmbH. 

Bioprinting: Organe aus dem 3D-Drucker?

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das Warten auf Organspenden der Vergangenheit angehört. Eine Welt, in der maßgeschneiderte, lebensrettende Organe einfach aus einem 3D-Drucker kommen. Klingt nach Zukunftsmusik? Vielleicht nicht mehr lange. Erfahren Sie von Dr. Tanja Jovanovic und Dr. Harald Unterweger mehr zum Thema "Bioprinting" in dieser Folge.

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