Was bringen uns Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie?

Deutsche Unternehmen setzen sich zunehmend mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) auseinander, während mit der Quantentechnologie schon die nächste große Zukunftstechnologie in den Startlöchern steht. Doch wie offen sind die Betriebe und deren Beschäftigte? Welche Auswirkungen haben neue Technologien auf die Arbeit in den Unternehmen oder sogar auf den gesamten Arbeitsmarkt? Und wie können Wissenschaft und Wirtschaft noch besser zusammenarbeiten? Diese Fragen diskutieren die Soziologin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Professor Dr. Sabine Pfeiffer und der Geschäftsführer der Bayern Innovativ Dr. Rainer Seßner.

KI Quantentechnologie
Wie werden KI und Quantencomputing die Arbeitswelt verändern? Und wie schaffen es Unternehmen, die Angst vor solchen Zukunftstechnologien zu verlieren?

Sabine und Rainer, erlebt Ihr die deutsche Wirtschaft als technologieoffen oder technologiescheu?

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Ich bin der Meinung, wir haben – anders als man es oft liest und hört – sehr viel Technologieoffenheit. Anders wäre es auch seltsam in unserem Land. Wir sind ja das Land des Engineerings und der Technik. Automobil, Luftfahrt, Maschinenbau – das ist alles sehr deutsch, sehr bayerisch und zeichnet unsere Wirtschaftsstruktur aus. Wenn man heute in die Betriebe blickt, muss man schauen, von welcher Technologie wir reden. Wenn wir von Digitalisierung reden, dann sehe ich, dass Beschäftigte „mit den Hufen scharren“. Sie hätten es gerne digitaler, moderner, innovativer und besser passend zu ihrer Arbeit. Da sehe ich also das Gegenteil von Ängstlichkeit und Verschlossenheit gegenüber Neuem.

Dr. Rainer Seßner: Schon in meiner beruflichen Vergangenheit in der Forschung und Entwicklung bei einem Optikunternehmen war alles sehr innovations- und technologiefreundlich. Und als Geschäftsführer der Bayern Innovativ GmbH erlebe ich das auch. Uns begegnen sehr viele innovative Firmen. Insofern stimme ich dem zu. Und doch bin ich immer wieder irritiert, dass es Menschen gibt, die auf Basis von Nichtwissen oder Halbwissen eine Technologiefeindlichkeit ausstrahlen und mit ihrer Lautstärke durchaus großes Gehör finden.

Diese kontroversen Sichtweisen finden wir heute insbesondere beim Thema Künstliche Intelligenz. Seit den 50er Jahren wird mit immer neuen Entwicklungen daran geforscht. Aber erst seit September 2022 gibt es diesen Hype um die generative KI. Rainer, wie nimmst Du die Veränderungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz wahr?

Dr. Rainer Seßner: Die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben im Allgemeinen nicht nur eine große Offenheit, neue Technologien einzusetzen, sondern den großen Wunsch, dies zu tun. Wir als Bayern Innovativ helfen ihnen, diese Technologien zu verstehen und dann gemeinsam zu überlegen, wie sie diese einsetzen können. Das nehme ich sehr positiv wahr.

Sabine, Du hast in einem Interview gesagt, dass die Rolle der Künstlichen Intelligenz auf dem Arbeitsmarkt momentan überschätzt wird. Was meinst Du damit genau?

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Wir haben die Angewohnheit, immer zu fragen, wie viele Jobs es kosten wird. Die Zahlen, die in den verschiedenen Prognosen gespielt werden, sind erschreckend hoch, bewahrheiten sich aber bislang nicht. Ich will nicht sagen, dass nicht auch diese Technologie eingesetzt wird, um Arbeit oder zumindest Arbeitstätigkeiten einzusparen. Das war immer schon so. Technik wurde immer auch dafür benutzt. Sie hat aber auch immer neue Arbeit geschaffen, neue Berufsbilder, neue Berufsanforderungen. Insofern ist es ein zweigeteiltes Spiel. In punkto generativer KI haben wir lange diskutiert, dass es immer die sogenannten Routinejobs trifft. Das, was monoton und gleichförmig ist, wird automatisiert, aber die kreativen Bereiche wird es nicht treffen. Das hat sich jetzt ein bisschen geändert. Nehmen wir die Bildbearbeitung mit generativen KI-Anwendungen. Bei einer großen Agentur, die ihre Arbeitsprozesse extrem tayloristisch organisiert hat und tatsächlich jemand beschäftigt, der acht Stunden nichts anderes tut, als Hintergründe weg- oder hinzumachen, dort hätte diese Person tatsächlich nicht mehr viel zu tun. Aber so sind Arbeitsprozesse selten organisiert. Das zeigt uns aber etwas anderes. Wann immer wir neue Technik einsetzen, sollten wir sehr darauf achten, dass wir Arbeitsprozesse ganzheitlich gestalten, damit nur Tätigkeiten automatisiert werden können und wir die entsprechenden Personen nicht verlieren. Das will man gerade in Zeiten von Fachkräftemangel nicht. Und Menschen, die am Arbeitsplatz ganzheitlicher aufgestellt sind, sind auch breiter qualifiziert und können viel leichter ihre Tätigkeitsprofile wieder verändern. Wichtig ist, wie wir Arbeit gestalten, wenn neue Technologie dazukommt, und nicht nur dieser Blick darauf, wie viel und was wegfällt.

Ich würde sagen, die Diskussion um KI und Quantentechnologie fängt gerade erst an. Und für Bayern ist aus meiner Sicht die entscheidende Frage, ob es gelingt, diese Technologien in die Breite dieses ganz spezifischen Wirtschaftsstandortes zu bringen und nicht in einzelne Leuchttürme.

Prof. Dr. Sabine PfeifferInhaberin des Lehrstuhls für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik - Arbeit - Gesellschaft, FAU Erlangen-Nürnberg


Wissend, dass neue Technologien generell immer auch eine Chance waren, repetitive Tätigkeiten zu ersetzen, haben wir dann bei Künstlicher Intelligenz einen Fehler gemacht oder hätten die Unternehmen anders darauf vorbereitet sein müssen?

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: In der Form konnte niemand darauf vorbereitet sein. Wir hatten schon eine lange Diskussion über aktuellere Formen von KI, also beispielsweise Machine Learning. Aber der Chat-GPT-Hype war natürlich auch ein Marketinginstrument. Das für die Leute freizugeben, hat etwas verändert, weil Menschen auf einmal ein Gespür dafür kriegen konnten, wie sich zumindest eine Variante von KI anfühlt, nämlich eine mit der ich meine, sprechen zu können. War es zuvor für die meisten Menschen ein theoretischer Diskurs, fragen sie sich heute, wie KI aussehen würde, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz ankommt. Das konnte einem lange keiner sagen.

Kleine und mittlere Unternehmen erleben aktuell, dass sie lernen müssen, mit KI umzugehen, dass sie KI anwenden können und sie ihnen im Alltag hilft. Rainer, was müssten die Unternehmen jetzt konkret tun?

Dr. Rainer Seßner: Es einfach machen. Nur ein paar Beispiele: Durch Möglichkeiten wie Chat GPT oder ähnlichem ist es ohne Umstände möglich, sich Unterstützung zu holen – beim Texte Generieren, beim Schreiben von E -Mails, bei der Korrektur von E -Mails oder Texten. Oder wenn es darum geht, Dinge zu visualisieren oder auch Ideen zu generieren. Einfach mal die KI fragen, wir haben hier die und die Herausforderung, kannst du uns dabei helfen? Oder wenn ich einfache Dinge programmieren will, kann ich mit Chat GPT heute simple Programmcodes generieren und damit arbeiten. Wir sollten sogar noch früher ansetzen. In den Schulen, bei den Schülerinnen und Schülern, damit sie heute schon mit diesen Werkzeugen arbeiten. Und da haben wir tatsächlich eine große Herausforderung. Ich bin selbst Papa von zwei Jungs und erlebe, dass es in der Schule verpönt und verboten ist, damit zu arbeiten. Das finde ich schrecklich. Sagen wir doch besser, hey, ich kann MIT einer KI lernen. Im Bereich Informatik haben wir die KI gefragt, schreib uns doch mal einen Code in Java und erkläre mir diesen Code. Und das war so einfach, dass mein Sohn damit programmieren gelernt hat. Das Gleiche können KMU auch tun. Einfach damit arbeiten und KI als Counterpart verwenden. Das sind ganz praktische Ansätze für KMU.

Mit der Quantentechnologie steht die nächste Stufe der digitalen Revolution schon vor der Tür. Ein großer Unterschied zwischen Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie ist, dass KI schon etabliert ist und wir sie bereits im Alltag nutzen. Sei es auf unseren Handys oder mit generativer KI, mal bewusst und mal unbewusst. Rainer, wie schätzt du den Status quo bei Quantentechnologie in Bayern ein?

Dr. Rainer Seßner: Wir sind im Quantencomputing, im Quantensensing und bei Quantenalgorithmen herausragend aufgestellt. Dieses Wissen, das aktuell in der Wissenschaft und in der Forschung vorhanden ist, gilt es jetzt in die Wirtschaft zu transferieren und dort frühzeitig möglich zu machen. Wir verwenden heute in der klassischen Wirtschaft üblicherweise klassische Algorithmen. Jetzt können wir überlegen, welche Probleme wir mit klassischen Algorithmen auf klassischen Computern nicht lösen können, weil diese Rechenprozesse zu lange dauern oder weil man viel zu viele Computersysteme bräuchte, um all diese Dinge parallel auswerten zu können. Wir können allerdings auch frühzeitig unsere Algorithmen auf die Möglichkeiten vorbereiten und umstellen, die Quantentechnologie und in diesem Fall Quantencomputing bietet. Damit können wir sozusagen einen Quantensprung in unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie in unseren Prozessen erreichen.

Die gute Nachricht ist: Wir sind im Quantencomputing, in der Quantensensorik und in den Quantenalgorithmen hervorragend aufgestellt. Und dieses Wissen, das derzeit in Wissenschaft und Forschung vorhanden ist, gilt es jetzt in die Wirtschaft zu transferieren und frühzeitig möglich zu machen.

Dr. Rainer SeßnerCEO, Bayern Innovativ GmbH


Wie schaffen wir diesen Transfer von der Wissenschaft in die Praxis? Sabine, hast Du aus Deiner Forschung Tipps für Unternehmen, wie sie mit einer komplett neuen, vielleicht auch komplexeren Technologie umgehen?

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Transfer der Wissenschaft in die Praxis ist ein altes Thema. Es gibt immer wieder große Förderprogramme, nicht nur bayerische, sondern auch bundesweit. Wenn man sich die anschaut, sind sehr häufig immer dieselben Firmen in diesen Förderprogrammen. Die haben verstanden, dass enge Zusammenarbeit mit der Wissenschaft helfen kann und sie sogar oft eine finanzielle Förderung kriegen, um Wege zu gehen, die sie sich aus ökonomischen Gründen sonst vielleicht nicht trauen würden. Irgendwie haben aber alle immer das Gefühl, das reicht nicht. Obwohl Bayern auch mit Clustern und all dem, was in Bayern Innovativ gemacht wird, um Interessen ähnlicher Unternehmen aus ähnlichen Sektoren oder mit ähnlichen Technologiebedarfen zusammenzubringen, schon ungemein hilft.
So ein bisschen müssen die Hochschulen, die Universitäten sich an die eigene Nase fassen, weil sie häufig anfangen, von der neuen Technologie zu denken, die sie gerade an ihrem Lehrstuhl vorantreiben. Und dann verzweifelt nach Anwendungsfällen suchen, die dazu passen, wo man gerade wissenschaftlich steht. Wir müssten es öfter umdrehen. Wir müssten öfter danach schauen, was passiert in den Unternehmen und wo stoßen die an Grenzen mit der Technologie, die sie gerade haben? Und welche der neuen Technologien könnte da eine Antwort sein? Ich glaube, wir haben immer so ein bisschen das Gefühl, die aktuell neue Technologie ist jetzt die eine Antwort für alles. Industrie 4.0 war die Antwort für alles, was irgendwie mit Produktion zu tun hatte. Da haben wir jetzt über zehn Jahre darüber geredet und die Produktionslandschaft hat sich deswegen nicht revolutioniert. Jetzt haben wir mit KI so ein bisschen dasselbe Gefühl. In Unternehmen bastelt man mit viel Aufwand, Geld und langen Lernphasen KI-Anwendungen und bringt erst dann die Daten, an denen überhaupt sinnvoll gelernt werden kann. Manchmal sogar für Anwendungen, für die es eine relationale Datenbank und ein ganz normaler, hart gecodeter Algorithmus auch getan hätten. Wir haben die wunderbare Situation, dass wir ganz viele verschiedene Technologieangebote haben, die man passend machen kann, aber man muss sie eben auch passend machen. Dieser Schritt fehlt aus meiner Sicht. Dass wir wegkommen von der Sichtweise, gerade war es noch KI, jetzt ist es Quantentechnologie. Letzere wird natürlich nicht für jedes Unternehmen in Bayern interessant sein, um in den nächsten drei Jahren darin zu investieren. Aber für bestimmte Sektoren über Wertschöpfungsketten hinweg, wo genug Daten anfallen, die ein einzelnes Unternehmen allein gar nicht produzieren kann, lohnt es sich, über Quantentechnologie nachzudenken. Kurz gesagt, wir müssen von den Problemen herdenken und nicht von der Technologie her.

Dr. Rainer Seßner: Ich möchte das gerne noch ergänzen. Von DER Technologie würde ich gerne erweitern auf von DEN Technologien. Wir blicken immer nur auf eine Technologie. Wir schauen auf die Künstliche Intelligenz, wir schauen auf die Quantentechnologie, statt zu überlegen, wie es ist, wenn ich Technologien kombiniere, denn daraus entstehen neue Systeme. Damit sind wir in Deutschland über viele Jahre schon sehr erfolgreich. Dass wir verschiedene Technologien gut und sinnvoll kombinieren, genau diese Probleme zu lösen, von denen Sabine gerade gesprochen hat. Also zu sagen, okay, ich habe viele verschiedene Technologien und ich habe hier ein Problem. Wie muss ich diese Technologien kombinieren, damit am Ende eine gute Lösung rauskommt? Ein schönes Beispiel ist die zukünftige Kombination von Künstlicher Intelligenz mit Quantentechnologie und 6G, um autonomes Fahren wesentlich besser zu ermöglichen. Weil es dann möglich sein wird, Routenauswertungen, Berechnungen oder auch das autonome Fahren auf zentralen Systemen durchzuführen und über 6G eine schnelle Kommunikation zu gewährleisten. Ein anderes Thema ist Cybersecurity, also klassische Sicherheit. Auch dafür gilt es wieder, verschiedene Systeme zu kombinieren. Ich glaube, da lässt sich auch noch viel erreichen. Und ich gebe Sabine recht, dass wir vom Problem herdenken müssen. Aber es betrifft nicht nur die Unis. Ich habe selbst in meiner Vergangenheit immer wieder erlebt, dass in technologisch orientierten Unternehmen, die Technologen erst mal tolle technische Lösungen erarbeiteten, aber kein Problem dazu hatten. Und dann diesen Transfer hinzukriegen, ist eine große Herausforderung. Also vom Problem her zu denken und den Nutzen in den Vordergrund zu stellen, ist generell das, was die Technologie erlebbar und greifbar macht.


Ihr wart beide Teil einer sehr spannenden Podiumsdiskussion auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel. Es ging um die Frage, wie unsere Wirtschaft den Hochtechnologiestandort Bayern in punkto KI und Quantencomputing pushen kann. Was ist Euer Fazit dieser Diskussion in ein bis zwei Sätzen?

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Die Diskussion über KI und Quantentechnologie fängt gerade erst an. Und für Bayern ist aus meiner Sicht die entscheidende Frage, ob es gelingt, diese Technologien in die Breite dieses sehr spezifischen Wirtschaftsstandorts zu bringen. Nicht die einen Leuchttürme, sondern in der Breite.

Dr. Rainer Seßner: Just do it.


Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leitung Marketing und Innovationsmanagement, Mitglied der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

KI & Quantencomputing: 2 Perspektiven auf die Arbeitswelt der Zukunft

Welche Chancen aber auch Risiken bieten neue Technologien heute und in Zukunft für bayerische KMU? Darüber diskutiert Dr. Tanja Jovanovic am Beispiel Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie mit Soziologin Prof. Dr. Sabine Pfeiffer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Bayern Innovativ-Geschäftsführer Dr. Rainer Seßner.

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