Die Arbeitswelt von morgen
Über kurz oder lang wird Künstliche Intelligenz in allen Unternehmen und in ganz unterschiedlichem Ausmaß vorkommen und sich in der Arbeitswelt wiederfinden. Doch wie wirkt sie sich auf Arbeitsplätze und auf Beschäftigte aus? Und welche Chancen und Risiken gibt es bei der Personaleinstellung durch die KI? Erfahren Sie es von Rosmarie Steininger, Gründerin und Geschäftsführerin der CHEMISTREE GmbH und Clemens Suerbaum, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Nokia Solutions and Networks GmbH & Co. KG.
Frau Steininger, Ihre Firma CHEMISTREE ist in dem Bereich Matchmaking unterwegs – auch mit KI – was machen Sie genau?
Rosmarie Steininger: Der Name Chemistree bedeutet: Wenn die Chemie stimmt, dann kann etwas wachsen und Früchte tragen, wie der Baum. Bei uns geht es um die Chemie zwischen zwei Menschen. Wir machen Matchmaking im professionellen Kontext. Wir unterstützen dabei Unternehmen oder Netzwerke und nutzen dafür zum Beispiel unsere Mentoring-Programme. Welcher Mentor, welche Mentorin passt am besten zu welchem Mentee? Oder für Führungs-Sparrings. Eine Führungskraft hat eine Herausforderung, eine andere hat eine Lösung. Wer passt da zusammen? Oder zum Beispiel für das Onboarding. Neue Mitarbeitende kommen ins Unternehmen. Wie finden diese am schnellsten Menschen, mit denen sie gut auskommen und die ihnen beim Ankommen helfen? Solche Matching-Cases lösen wir für unsere Kunden.
Wie kann da künstliche Intelligenz mithelfen? Oder brauchen Sie vor allem Ihre menschliche Intelligenz?
Rosmarie Steininger: Natürlich hilft beides. Auch die menschliche Intelligenz schadet da nicht. Aber wenn Sie z. B. mehr als 100 Menschen haben, die Sie zu Tandems zusammenstellen wollen, dann haben Sie schon einige 1.000 Möglichkeiten, wer da mit wem zusammenarbeiten könnte. Und wenn Sie dann noch ein paar Kriterien haben – so 100 bis 200 Kriterien sind bei uns keine Seltenheit, mit verschiedenen Interessen, Hintergründen, Regionen und persönlichen Präferenzen. Dann ergeben sich ein paar Millionen Rechenoperationen, die Sie machen müssten, um herauszufinden, wer zu wem besonders gut passt.
Und das können Algorithmen besser als der Mensch. Der Mensch ist dafür gut, um überhaupt dieses Setting zu machen: Welche Fragen sollte ich stellen? Wie sollte ich welche Fragen gewichten? Was ist wichtig? Was muss drin sein? Aber die Algorithmen sind gut, um die Rechenleistung zu bringen.
Heißt, als erstes steht schon noch der Mensch, der sich überhaupt Gedanken machen muss. Was übergebe ich der KI?
Rosmarie Steininger: Ganz genau. Ich glaube sowieso, dass das Zusammenspiel von Menschen und KI oder Algorithmen natürlich das ist, wo am meisten dabei rauskommt. Für das Führungs-Sparring ist es zum Beispiel wichtig, dass man sich aussuchen kann, aus welchem Bereich die andere Person kommt. Das muss im Fragebogen hinterlegt sein. Diese Konzeption machen wir gemeinsam mit unseren Kunden immer maßgeschneidert. Danach kommen erst die Algorithmen ins Spiel und nehmen einem die sogenannte Kärrnerarbeit ab.
Wenn es um künstliche Intelligenz geht, hört man immer den Begriff Black Box. Man weiß nicht so recht: Was steht da drin? Wer steuert im Hintergrund? Was macht die KI?
Rosmarie Steininger: Die erste Frage lautet, was ist überhaupt künstliche Intelligenz? Nach der neuen EU-Verordnung ist die Definition sehr breit. Also darunter fällt alles, was wir machen. Es gibt auch eine schmälere Definition, die besagt, dass künstliche Intelligenz alles ist, was selbst lernt und vielleicht nicht mehr so ganz nachvollziehbar ist. Mit solch einer Art von KI gehen wir sehr vorsichtig um und schauen genau, was da für Sachen passieren. Denn es können dabei auch unerwünschte Effekte passieren.
Bei uns sind drei Sachen wichtig, wenn wir unsere Projekte umsetzen:
- Es darf keine Black Box sein, sondern soll sehr transparent und verständlich sein. Wir erklären alles, was wir machen bis zum letzten Algorithmus und so lange, wie es die Kundschaft wünscht.
- Wir achten stark darauf, keine Verzerrungen einzubauen oder uns dann der Verzerrungen bewusst zu sein. Es gibt manchmal Programme, bei denen man Verzerrungen haben möchte. Jede Quote ist z. B. eine Verzerrung. Aber das muss man dann ganz klar und transparent machen und wissen, was man macht. Und dann ist es natürlich auch zulässig.
- Unsere Teilnehmenden nutzen unsere Lösungen sehr selbstbestimmt. Sie wissen jederzeit, welche Daten sie hergeben und was mit ihnen passiert.
Und nur dann ist es aus unserer Sicht tatsächlich gute KI und gute KI löst Probleme.
Herr Suerbaum, Sie sind Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Jetzt könnte so ein Matchmaking durchaus auch interessant für den Bewerbungsprozess und für den Personaleinsatz innerhalb eines Unternehmens sein. Wie gehen Sie als Betriebsrat damit um?
Clemens Suerbaum: Aktuell würde ich sagen, ist die beste Reaktion zu sagen: „Hurra, KI!“ Denn dann haben wir nach dem gerade rausgekommenen Betriebsrätemodernisierungsgesetz Anspruch auf einen Sachverständigen. Da müssen wir gar nicht lange diskutieren.
Aber ich glaube es kommt schwer darauf an, so wie in dem risikobasierten Ansatz von der EU, was man denn mit der KI machen will. Ich glaube, bei dem Thema Personalselektion begibt man sich schon auf dünnes Eis bezüglich der Kandidatenauswahl für ein Assessment-Center.
Bei Nokia läuft es in etwa so ab: Wir haben momentan alles virtualisiert. Wenn wir Dual-Studierende einladen, dann haben wir eine Gruppe von Beobachterinnen und Beobachtern, die diese jungen Studierenden zu ihren Vorstellungen bei uns im Unternehmen befragen.
Im Gegensatz würde die KI eine große Umfrage im Netz starten: Was bekomme ich alles über den oder die raus? Was wird gepostet? Die KI versucht darüber ein Persönlichkeitsbild zu erstellen. Eine andere KI könnte dann wiederum eine Bewerbung so schreiben, dass die Chancen für eine Einstellung deutlich erhöht werden. Am Ende wird es dann ein Kampf, bei dem keiner so richtig gewinnt. Man weiß immer noch nichts über die Person, die sich bewirbt. Den Eindruck, ob die Person gut ins Team passt, den haben Beobachterinnen und Beobachter eher als eine KI.
Ich sehe Gemeinsamkeiten bei Ihnen beiden. Es braucht die menschliche Komponente auch bei der künstlichen Intelligenz.
Clemens Suerbaum: Ihre Einleitung am Anfang, dass die Arbeitswelt in Zukunft von KI geprägt sein wird, hat mich ein bisschen erschreckt. Ich hoffe, sie wird von mehr Menschlichkeit geprägt sein.
Ich habe gerade einen Ticker gelesen, die haben über einen KI-Workshop berichtet. Eines von den erwähnten Projekten war, dass die KI auf Luftbildern Bäume zählt. Also wo derzeit Menschen durch die Gegend laufen und mühsam einen Strich machen. Wenn man das dann mit Hilfe der Bildanalyse durch die KI herausfindet, dann ist das für die Leute, die da arbeiten, auch eine große Erleichterung. Und die Leute können an anderer Stelle eingesetzt werden, etwa bei der Baumplanung oder dem Neupflanzen.
Ist das vielleicht genau diese Kärrnerarbeit, Frau Steininger, die Sie vorhin erwähnt haben? Man muss erst viel Input reinstecken, um sich zu überlegen, was brauche ich denn? Und dann gezielt da die KI drauf ansetzen, um vielleicht auch wieder ein bisschen mehr Freiraum zu geben?
Rosmarie Steininger: Ich glaube, dass das ganz wichtig ist. Also was will ich machen und was davon überlasse ich der KI? Diese Kombination ist wichtig. Aber auch, was ist der Gegenstand dessen, was ich eigentlich betrachte? Wenn ich Bäume zähle, dann habe ich es sehr gut gemacht, wenn ich die richtige Anzahl treffe, wenn ich vielleicht auch noch die Größe bestimmen kann oder so.
Ich wäre nur sehr vorsichtig mit tatsächlicher KI, die auf Wahrscheinlichkeiten oder auf großen Mustern basiert, wenn es um Menschen geht. Denn ein Mensch ist eine einzelne Person mit ganz individuellen Präferenzen. Da ist so ein großer Unterschied. Menschen sind keine Bäume. Da ist es wichtig, dass man trennscharf genau das erwischt, was derjenige, jetzt im Personalauswahl-Kontext, braucht, will und kann.
Zum Thema Assessment-Center oder KI: natürlich kann ein Mensch genauso manipulieren oder verzerren, wie ein deterministischer Algorithmus oder eine KI. Das muss man mit bedenken und dafür von vornherein sensibel sein. Das Ergebnis sollte normativ und technisch so gut wie möglich sein.
Clemens Suerbaum: Bei diesen Selektionsmechanismen ist auch eine wichtige Frage, wo kommen eigentlich die Trainingsdaten her? Wie kann man z. B. entscheiden? Ich habe gerade einen Artikel gelesen, wie die KI gezielt manipuliert werden kann: z. B. durch ein Training as a Service, genauer ein Data-Training as a Service. Die Daten werden zu einem Serviceanbieter gegeben, der einen Algorithmus anlegt. Als Beispiel: eine Kreditvergabe basierend auf allen möglichen Daten, wie Adresse, Alter und Einkommen und vielleicht auch noch der Freundeskreis. Nun kann der Serviceanbieter das Ganze so manipulieren, dass wenn z. B. hinter die Hausnummer noch ein kleines a gesetzt wird, der Kredit für eine falsche Person genehmigt wird.
Solche Risiken haben die meisten Menschen gar nicht auf dem Schirm. Sie glauben, dass ihnen dadurch alles einfacher gemacht wird. Hier muss man aufpassen, weil es ein neues Feld ist. Dieser Risikoansatz zählt sowohl für die menschliche als auch für die unternehmerische Seite. +
Wie schaut es denn bei uns in Europa und Deutschland aus? Die Datenschutzgrundverordnung, das große Thema, gerade wenn es um personenbezogene Daten geht, steht vorne mit dran. Wie ist es bei der KI? Da werden massenhaft Daten verarbeitet, auch personenbezogene Daten, gerade bei Ihnen, Frau Steiniger.
Rosmarie Steininger: Da kommt es stark darauf an, in welchem Kontext man das einsetzt. Im Per-sonalbereich gibt es bisher praktisch keine Regulierung. Eine solche Regulierung soll jetzt mit der neuen EU-Verordnung kommen, da die Personalauswahl darin ein Hochrisikogebiet ist.
Ich habe bisher den Eindruck, dass manche gar nicht daran interessiert sind, was im Hintergrund passiert. Bei den einkaufenden Unternehmen erlebe ich ganz oft, dass es letztendlich um ein schnelles Aussortieren geht. Niemand achtet darauf, ob es Sinn macht oder nicht.
Clemens Suerbaum: Ich gebe mal ein voreiliges Urteil ab: Ich glaube, dass sich einiges bewusst in der Grau- bis Schwarzzone bewegt. Wenn man hingegen den Leuten vorher sagt, für welche Zwecke diese Daten sind, dann können sie zustimmen oder ablehnen. Dann sind die Daten explizit für diesen Zweck gesammelt worden. So macht es beispielsweise CHEMISTREE. Es ist ein rechtlicher Verstoß, wenn gesammelte Daten ohne vorherige Einwilligung hergenommen werden. Diese unerlaubte Datennutzung ist aber ein gängiges Vorgehen, weil es einfach ist und Vorteile schafft.
Wie können wir mit verknüpften Datenpools umgehen? Wie schafft man es vorab in den Austausch zu gehen? Was genau soll KI machen? Was braucht man dafür?
Rosmarie Steininger: Ich glaube es müssen sich verschiedene Seiten aufeinander zubewegen. Die Softwareunternehmen müssen verständlich und transparent sein. Softwareunternehmen und deren Kundschaft müssen sich aufeinander zu bewegen.
Mit der neuen EU-Verordnung und der begleitenden Normung, geht es darum, welche Dinge offengelegt müssen, was eigentlich verständlich bedeutet und wie es zu einer Entscheidung kommt.
Herr Suerbaum, Sie haben eingangs gesagt, Sie holen sich einen Sachverständigen. Kann man es sich so leicht machen?
Clemens Suerbaum: Es wird häufig der Fehler gemacht, dass technische Fachbegriffe wie neuronale Netze, Machine Learning, usw. inflationär verwendet werden. Man muss es von dieser technischen Ebene herunterholen, damit alle mitreden können. Betriebsräte können dann sehr gut über Sachen diskutieren, die die (zukünftigen) Mitarbeitenden betreffen. Frau Steininger hat es gerade wiedergegeben: Dieser Willen zur Beteiligung ist wichtig. Wenn ich mir die Nutzung von KI erklären lassen möchte, dann zeigt sich die Bereitschaft für Neues. Nur mit Vertrauen und Transparenz kön-nen der Betriebsrat und die Geschäftsleitung die Vorteile von KI sehen und nutzen.
Das Interview führte Christoph Raithel, Teamleiter Event bei der Bayern Innovativ GmbH. Hören Sie sich hier das vollständige Interview als Podcast an:
Länge der Audiodatei: 00:24:12 (hh:mm::ss)
KI in der Arbeitswelt 4.0: Unternehmerische Chancen & Ethische Fragen (16.01.2023)
Die Arbeitswelt der Zukunft wird von Künstlicher Intelligenz geprägt sein. Doch was bedeutet das im Detail für Unternehmen und Beschäftigte? Christoph Raithel spricht mit Rosmarie Steininger – Gründerin und Geschäftsführerin von CHEMISTREE – und Clemens Suerbaum – Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Nokia Solutions and Networks GmbH & Co. KG, um Licht ins Dunkle zu bringen.
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