Initiative Manufacturing-X: gemeinsam zur Digitalisierung industrieller Lieferketten
22.02.2024
Die Realisierung des Datenraum Industrie 4.0 soll es Organisationen ermöglichen, über die gesamte Fertigungs- und Lieferkette sicher und vertrauensvoll produkt- und produktionsrelevante Daten auszutauschen.
Im Catena-X Automotive Network arbeitet bereits eine Vielzahl von Partnern gemeinsam an der Umsetzung eines Datenökosystems für das Wertschöpfungsnetzwerk der Automobilindustrie. Mit der Initiative Manufacturing-X sollen die bisher erarbeiteten Standards und Systeme rund um die Verwaltungsschale und den Eclipse Dataspace Connector (EDC) aus dem Catena-X-Projekt und zahlreichen anderen Industrie 4.0 Projekten und Initiativen genutzt werden, um den Datenraum Industrie 4.0 in der ganzen Breite der produzierenden Industrie zu realisieren.
Hierfür sollen Leuchtturmprojekte mit Verbünden, bestehend aus kleinen und großen Unternehmen sowie der Wissenschaft initiiert werden, die für relevante Leitindustrien einen schnellen und effektiven Aufbau von Datenökosystemen vorantreiben. Damit die Initiative ein Erfolg wird, spielt jedoch auch die Erarbeitung einfacher und kostengünstiger Lösungen eine wichtige Rolle, die es mittelständischen Unternehmen ermöglichen, an diesen Datenräumen mitzuwirken und von ihnen zu profitieren.
Das Webinar der ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ im März 2023 gab im Rahmen der Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“ Einblicke in die Initiative Manufacturing-X, über ihre Ziele und die technische Basis.
Manufacturing-X – die offene Initiative zum Aufbau des branchenübergreifenden und dezentralen Datenraums für Industrie 4.0
Im ersten Vortrag wird die Industrieinitiative Manufacturing-X aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) von Herrn Fabian Hammel, Referat IVA3 Digitalisierung, Industrie 4.0 vorgestellt. Welche strategischen Ziele verfolgt das BMWK mit seiner Unterstützung der Industrieinitiative Manufacturing-X? Was ist die Mission? Was ist die Motivation? Wie fügt sich die Initiative in die bestehende Projektlandschaft zu Industrie 4.0 ein? Wie kann sich hieraus eine Community bilden? Und was sind Planungsstand und mögliche Inhalte eines Förderprogramms zur Unterstützung von Manufacturing-X, um den offenen, dezentralen und kollaborativen Datenraum für Industrie 4.0 branchenübergreifend umzusetzen? All das sind die Fragen, mit denen sich das BMWK befasst.
Die übergeordneten Ziele sind es, Resilienz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsstärke der Industrie in Deutschland und Europa zu stärken. Dazu sind Wertschöpfungsnetzwerke neu zu organisieren und zu flexibilisieren, um vorhandene Informationen einfach nutzen zu können. Die Nachhaltigkeit soll erhöht werden, indem man effizienter wird und neue digitale Lösungen ermöglicht, z.B. um die CO2-Bilanzierung von Produkten und Komponenten über die gesamte Lieferkette abzubilden. Und das Ganze vor einem massiven ökonomischen Handlungsdruck durch sehr volatile und hohe Energiepreise, Lohnkosten sowie Fachkräftemangel. Dazu kommen stetig neue regulatorische Vorgaben.
Akteure an einen Tisch bringen
Mit Manufacturing-X soll die Industrie branchenübergreifend zusammengebracht werden. Es soll Unternehmen ermöglicht werden, sicher und vertrauensvoll Daten auszutauschen, ohne die Kontrolle über die eigenen Daten zu verlieren. Hierzu müssen rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es braucht interoperable Standards. Und es braucht ein Werteversprechen, um an Datenräumen überhaupt teilnehmen zu wollen. Das betrifft vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen, die vielleicht noch nicht über entsprechende IT-Infrastrukturen verfügen.
Use Cases für die Industrie
Wie genau will das BMWK dies erreichen? Zum einen soll in geförderten Verbundprojekten eine übergreifende technologische Basis entwickelt werden. Dabei geht es um eine interoperable Dateninfrastruktur, um gemeinsame Basisdienste und um einheitliche Regeln und Standards für den multilateralen Datenaustausch. Daneben sollen Use Cases umgesetzt werden, welche den Mehrwert des dezentralen Datenraums anhand konkreter Beispiele veranschaulichen. Ein mögliches Beispiel ist die kollaborative Zustandsüberwachung. Hier ist die Zusammenarbeit von Maschinenhersteller und Maschinenbetreiber entscheidend.
Bereit zum Start
Bis zum Sommer 2023 ist es geplant, eine Förderrichtlinie zu veröffentlichen und mit Manufacturing-X auf breiter Basis durchzustarten. Interessierte haben dann die Möglichkeit, mit staatlicher Förderung eigene Projektideen zu Manufacturing-X zu verwirklichen. Zudem besteht bereits jetzt die Möglichkeit sich auch ohne Förderung an der Initiative Manufacturing-X zu beteiligen. Für laufende Informationen steht als zentrale Anlaufstelle die Plattform Industrie 4.0 zur Verfügung. Ein Förderkonzept für Manufacturing-X wurde im Rahmen der Hannover Messe 2023 veröffentlicht und kann hier heruntergeladen werden:
Verwaltungsschale und Eclipse Dataspace Connector (EDC) – Bausteine für Datenräume für die Umsetzung von Manufacturing-X
Herr Johannes Diemer ist Forschungskoordinator bei ARENA2036 (Active Research Environment for the Next generation of Automobiles). Dabei handelt es um einen Forschungscampus der Förderinitiative „Forschungscampus – öffentlich-private Partnerschaft für Innovationen“ in Deutschland. ARENA2036 wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt und wird als eingetragener Verein mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Industrie geführt. Die Mitglieder sind in verschiedenen Branchen tätig – von der Automobilbranche über Luft- und Raumfahrttechnik, Textil- und Materialforschung bis hin zur Arbeitswissenschaft. Sie sind der Schlüssel für die co-kreative Arbeit an unterschiedlichsten interdisziplinären Projekten. Ein Thema, mit dem sie sich beschäftigen, sind die Bausteine für Datenräume für die Umsetzung von Manufacturing-X. Dabei werden Datenräume als Zukunft der digitalen Zusammenarbeit gesehen. Dabei verfolgt man die Umsetzung der im Kontext von Industrie 4.0 geprägten horizontalen Wertschöpfungsnetzwerke. Diese hat zum Ziel, dass alle Partner innerhalb eines Ökosystems voneinander profitieren können.
Zwei wesentliche Technologien spielen hier zusammen: die Verwaltungsschale, entstanden aus der Initiative der Plattform Industrie 4.0, und der Datenaustausch über Datenraum-Konnektoren, wie dem Eclipse Dataspace Connector (EDC).
Erfolgreiche Nutzung von Gaia-X und Catena-X
Beim Datenaustausch für die horizontale Vernetzung der Wertschöpfung greift man auf Erfahrungen zurück, die durch die Initiative Gaia-X in der Vergangenheit gewonnen werden konnten. Gaia-X wurde 2019 gestartet und hat zum Ziel, Datenschutz, Datensouveränität, Offenheit und Transparenz in der EU umzusetzen. So wurde die Architektur der Konnektoren und für eine Datensouveränität notwendige föderierte Dienste von Gaia-X entwickelt und die konkrete Implementierung im Rahmen von Catena-X umgesetzt.
Catena-X realisiert somit den ersten souveränen Datenraum für die komplette Lieferkette der Automobilbranche. Der Handlungsdruck ist da: Lieferketten sollen resilient, die Produktion effizient und klimaneutral sowie Materialkreisläufe geschlossen werden. Mit Manufacturing-X sollen nun Datenräume branchenübergreifend vernetzt werden und gleichzeitig die Integration des Shopfloors in der Produktion (vertikal) realisiert werden.
Verwaltungsschale als technologische Voraussetzung
Das funktioniert nur, wenn genügend Daten unternehmensübergreifend geteilt und auch „verstanden“ werden. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass alle am Wertschöpfungsprozess beteiligten Maschinen und Prozesse als interoperable digitale Zwillinge abgebildet werden. Die Verwaltungsschale, auch bekannt als Asset Administration Shell (AAS), liefert dafür die technologische Voraussetzung. In ihr werden verknüpfte Daten strukturiert abgelegt. Nicht nur Komponenten und Produkte können digital abgebildet werden, sondern beispielsweise auch Informationen zu Lieferketten.
Klärung der Datensouveränität
Die andere Voraussetzung ist Datensouveränität. Stehen Daten zur Verfügung, muss geklärt sein, wer die Kontrolle über diese Daten hat und mit wem sie in welchem Umfang geteilt werden dürfen. Dies ist also eine Frage der Zugriffsrechte und einer vertraglichen Grundlage, auf der dieser Datenaustausch basiert. Aus technologischer Sicht ist für Herrn Diemer die Wahl eines dezentralen Ansatzes entscheidend. Hier kommen die Konnektoren, wie beispielsweise der EDC, zum Einsatz, die dafür sorgen, dass ein Datenaustausch immer nur zwischen zwei Punkten stattfindet. In Zukunft wird man sich mit geeigneten Maßnahmen zur Überprüfung von Identitäten und Authentizitäten beschäftigen müssen. Im Ergebnis entsteht ein Ökosystem, das den Akteuren dabei hilft, nicht nur Daten zu übertragen, sondern auch die Bedeutung der Daten zu erkennen und zu priorisieren.
Mit der Initiative ARENA-X sollen die genannten Technologien mit ihren unterschiedlichen Implementierungen an einem Ort zusammengeführt und eine „Easy-to-Use“-Umgebung für das Demonstrieren, Ausprobieren und Testen geschaffen werden. Ein ideales Umfeld also auch für kleine und mittelständische Unternehmen, die den Umgang mit Datenraum-Ansätzen und -Technologien sowie Standards erproben möchten. Dabei sollen automatisierte Orchestrierungs-Verfahren das Aufsetzen von „Proof of Concepts“ unterstützen. Dazu gehören zum Beispiel der Austausch von CAD-Daten im System-Engineering oder die Rückverfolgbarkeit. Ein erster Testplatz soll bereits im Herbst diesen Jahres starten.
Die Rolle von Manufacturing-X für die Realisierung adaptiver Fertigungsprozessketten
Zwischen den einzelnen Prozessschritten einer Wertschöpfungskette bestehen große Abhängigkeiten. Um eine bestmögliche Produktqualität und Produktionseffizienz erzielen zu können, ist es deshalb notwendig, auf Informationen aus vorangegangenen Prozessschritten zu reagieren. Wie solche adaptiven Prozessketten mit Hilfe digitaler Technologien realisiert werden können, wird aktuell unter der Leitung der GRAMMER AG im Forschungsprojekt AdaProQ untersucht (Verlinkung auf: adaproq.de/). Adaptivität steht hier im Kontext von Industrie 4.0 gleichbedeutend für eine neue Form der Flexibilität von Fertigungsprozessen und Prozessketten, die sich selbstständig anpassen und optimieren. Der Vortrag von Norbert Skala der GRAMMER AG gibt einen Einblick in das Projekt und zeigt auf, welche Rolle Manufacturing-X für die Realisierung adaptiver Fertigungsprozessketten spielt.
Das Projekt AdaProQ
Im Rahmen von AdaProQ soll anhand unterschiedlicher industrieller Anwendungen ein generisches Methodenframework erarbeitet werden, welches auf praktisch alle industriellen Fertigungsprozessketten adaptiert werden kann. AdaProQ betrachtet die Qualitätssicherung in adaptiven Prozessketten über verschiedene Stufen der Wertschöpfung und setzt Lösungen zur Steigerung der Produktionsqualität und -effizienz anhand verschiedener Use-Cases um.
Der Einsatz von KI
Ganz konkret wird dies beschrieben am Beispiel der Fertigung einer Stanze. Die Verkettung von Prozessketten ist hier heute meist unwirtschaftlich, z.B. durch enge Toleranzen der Einzelprozesse. Notwendige Anpassungsprozesse sind oft zeit-und erfahrungsintensiv. Ziel des Projekts ist es, mit Hilfe von KI-Methoden, Datenplattform-Konzepte im Zusammenwirken mit der Nachverfolgbarkeit von Bauteilen sowie Sensor/Aktor-Konzepten zu nutzen, um Prozessketten adaptiv zu optimieren. Der Mensch soll dabei durch entsprechende Mensch-Maschine-Schnittstellen eingebunden werden.
Eine ganzheitliche Betrachtung großer Teile der bestehenden Prozesskette erlaubt eine völlige Neubewertung der Fertigungstoleranzen. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, effizienter Optimierung und sensorischer sowie aktiver Komponenten werden komplexe Fertigungsprozesse befähigt, sich selbst so zu adaptieren, dass diese auf veränderte Randbedingungen adäquat und autonom reagieren, sich die Bauteilqualität verbessert und die Ausschussrate reduziert wird.
Identifizierungskonzept als Grundlage für den Datenaustausch
Erforderlich dafür ist nicht nur die digitale Kommunikation inhouse, sondern auch mit Lieferanten und Kunden. Das heißt, um den Einsatz Künstlicher Intelligenz überhaupt interoperabel gestalten zu können, sind zwei Aspekte von immenser Wichtigkeit.
Der eine ist, dass die Daten selbst in einer Verwaltungsschale oder in anderen Metadatenstrukturen zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite braucht es einen Identifier, der das Teil oder Produkt wieder verfügbar zur Identifizierung macht. Gefragt ist also ein Identifizierungskonzept für sämtliche Engineering- und Materialdaten.
Ein betrachteter Use Case des Projektes AdaProQ beschäftigt sich mit der Haltestangenfertigung für Kopfstützen. Hier berücksichtigt man für die Qualitätssicherung bzw. die Ermittlung des CO2-Fußabdrucks bereits die Roh-Materialeigenschaften in Form von digitalen Daten des Lieferanten. Im nächsten Prozessschritt des Kerbens und Biegens soll ein Bauteil-Identifizierungskonzept entwickelt werden, das auch nach der Oberflächenbehandlung noch auslesbar ist. Beim Verchromen verspricht man sich die Optimierung von Qualität und Effizienz auf Basis von Daten aus vorgelagerten Prozessen.
Gemeinsam die Erfolgsgeschichte weiterschreiben
Auch hier wird klar: Im Rahmen von Manufacturing-X geht es auch um die Realisierung adaptiver Fertigungsprozessketten. Wie können in Datenräumen die Daten multilateral geteilt werden? Welche Potenziale können weitergegeben werden? Welche Datenräume können verbunden werden? Diese und weitere Fragestellungen verfolgt eine Gruppe von Organisationen auf Basis des Projekts AdaProQ weiter. Herr Skala lädt zum Ende seines Vortrages dazu ein, gemeinsam die Geschichte der adaptiven Prozessketten weiterzuschreiben. Aktuell sind mehr als 25 Unternehmen und Institutionen an dem Vorhaben beteiligt. Weitere Interessierte sind gerne eingeladen.
Die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“
In dem Veranstaltungsformat der ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ geben Forschungseinrichtungen und Unternehmen Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und diskutieren diese mit den Teilnehmenden. Ziel ist es, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, digitale Technologien in ihren Produktionsprozessen und in ihrem Engineering sinnvoll zu nutzen.
Kontaktdaten der Referierenden
Fabian Hammel
Referat IVA3 Digitalisierung, Industrie 4.0, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
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Johannes Diemer
Forschungskoordinator, ARENA2036 e.V.
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Norbert Skala
Head of Digitalization Operations, GRAMMER AG
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